Die Squaw spuckt aus: „Du bist einer von ihnen“, zischt sie den indianischen Scout an, der gerade ihr Leben retten wollte. Die weißen Männer haben im Territorium Oklahoma ihren Mann getötet, haben nach seiner Ermordung noch eine Revolvertrommel in den Leichnam geschossen.
Die Indianerkriege sind zu Ende, es gibt nur noch kleine Gefechte
Das 19. Jahrhundert geht in die letzte Dekade, die Indianerkriege sind in kleine finale Gefechte übergegangen. Eli Whipp (Chaske Spencer), der Pawnee-Scout, der eigentlich Wounded Wolf heißt, glaubt fest daran, dass er die paar Acres Land erhalten wird, die ihm für seinen Militärdienst zugesprochen wurden – weit oben in Nebraska. „Hier bist du einer von uns, Sergeant“, versucht ihm sein weißer Kamerad zu erklären. Aber dort, damit weist er in den Norden, „bist du einer von ihnen.“ Und es ist nicht gut, ein Indianer zu sein.
Eli kommt gar nicht so weit. Das nächste Mal, als wir ihm begegnen, hängt er – brutal zusammengeschlagen – an einem Seil in der Einfahrt eines Hotels, einer Bretterbude, die mitten in Kansas einsam in der Prärie steht. Seine Zehenspitzen können gerade mal den Staub berühren. Ein Mord soll ihm angehängt werden, an einer Frau, die noch gar nicht tot ist. Mit der der Hotelbesitzer (Ciaran Hinds) erst noch diniert, bevor er sie vergewaltigen und töten will.
Lady Locke will nach Wyoming, um ihr Kind zu rächen
Die schöne Lady Cornelia Locke (Emily Blunt) ist aus dem englischen Devon in den Wilden Westen gereist, weil irgendjemand in Wyoming ihren Sohn umgebracht hat. Sie ist auf Rache aus, der Mörder ihres Kindes hat von ihrer Ankunft gehört und den Hotelier mit ihrer Liquidierung beauftragt. Der Scout, der als Schuldiger an ihrem Tod in Handschellen in einer Kutsche zum Galgen gebracht werden soll, kehrt indes zurück. Man muss mit Eli rechnen – ein schweigsamer Gentleman, ein Kavallerist der letzten Sekunde.
Ein Blutbad später sind Scout und Lady ein Gespann
Amerika ist in dieser Miniserie von BBC und Prime Video, die seltsamerweise bei Magenta TV zu sehen ist, ein Land, in dem das Recht des Stärkeren, des besser Bewaffneten und Kampftüchtigeren gilt. Kollaborateure der First Nations sind geduldet für die Zeit der Kollaboration, und eine Engländerin wird nicht als Gegnerin sondern als Beute wahrgenommen in der chaotischen Welt der Outlaws und Pistoleros, die sich schwertut Zivilisation zu werden.
Doch ein Blutbad später sind Eli und die Lady ein Gespann, ziehen durch die Great Plains, erleben Unsägliches, gehen auseinander, um sich wiederzufinden, einander wiederholt vor dem Schlimmsten zu bewahren – ganz so, als spürten sie dem Anderen drohende Gefahren.
Chaske Spencer und Emily Blunt sind ein überzeugendes Gespann
Spencer, der einst der Werwolf Sam in den „Bis(s)“-Filmen war, spielt überragend einen stoischen Ureinwohner zwischen den Welten. Und Blunt, die schon in John Krasinskis beiden „A Quiet Place“-Sci-fi-Filmen (2018, 2020) wehrhaft war, ist beileibe nicht so defensiv, wie ihr Outfit vermuten ließe. Die BBC-Serie „The English“, geschrieben und inszeniert von Hugo Blick („The Shadow Line“), ist eine der härtesten und besten Western(-serien), die in den vergangenen Jahrzehnten zu sehen waren, kann sich messen mit David Milchs HBO-Drama „Deadwood“ (2004 – 2006) und Taylor Sheridans herausragender Neowestern-Tragödie „Yellowstone“ (seit 2018).
Es gibt noch Nebengeschichten von Viehdiebstahl, Mord und Totschlag, die aufeinander zustreben, jede Menge sehens- und sterbenswertes Personal – voran Rafe Spall als Bösewicht Melmont und Nichola McAuliffe als Black Eyed Mog, für die das Wort vom „bösen Blick“ neu definiert werden müsste.
Die Prärie, unendliche Weiten. Der Westen ist ein schönes, wildes, rechtloses Land, ein von Winden durchheultes Nirgendwo. Hier trifft man besser keine Menschen, jeder in dieser Einsamkeit ist auf der Hut vor dem Nächsten. Der spanische Kameramann Arnau Valls Collmer zeigt gewaltige Wolkenhimmel und glühendes Präriegras, eine Landschaft so mythisch wie sie in den Western von John Ford erschien. Der Tanz eines verrückten Cowboys mit Lady Lockes Kleid und die immer wieder im Soundtrack des Argentiniers Federico Jusid schlagenden Totenglocken erinnern dann an die großen Italowestern Sergio Leones (und die Filmmusiken von Ennio Morricone). Ein neues Lied vom Tod.
Das Lied vom Tod nämlich der Ureinwohner in den Vereinigten Staaten, der in dieser Serie überall anzutreffen ist. „The English“ steht in einer Filmtradition, die mit Robert Aldrichs „Massai – der große Apache“ (1954) begann. Der Zuschauer versteht, dass der Krieg der Weißen gegen die Stämme und ihre Kultur nichts weniger war als ein Genozid.
„The English“, Miniserie, sechs Episoden, von Hugo Blick, mit Emily Blunt, Chaske Spencer, Rafe Spall, William Belleau, Stephen Rea, Tom Hughes, Valerie Pachner (streambar bei Magenta TV)
Von Matthias Halbig/RND