Die Empörung über die Klimaproteste lenkt vom eigentlichen Problem ab – landeszeitung.de

Erst war es Tomatensuppe auf Van Goghs „Sonnenblumen“, dann auf Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“. Es folgte zeitnah Kartoffelbrei auf Monet – und auch wenn die Gemälde selbst keinen Schaden genommen haben, gebe ich zu, dass ich mich kurz gefragt habe: Muss das wirklich sein? Eine Antwort hatte ich auf die Schnelle tatsächlich nicht.

Die Frage stellte sich einige Tage später wieder: Als sich in Berlin ein schlimmer Unfall ereignete. Ein Betonmischer überfährt eine Frau, sie stirbt später im Krankenhaus. Und weil zeitgleich ein Klimaprotest der Letzten Generation an einer Autobahn in der Nähe stattgefunden hat, scheint sofort klar: Die dort an einem Schild angeklebten Menschen sind schuld. Wären sie nicht gewesen, so befanden viele Artikel und besonders viele Kommentatoren und Kommentatorinnen auf Social Media, hätte ein Spezialfahrzeug nicht im Stau stehen müssen und die Frau retten können.

Viele Fragen sind offen

So einfach ist es aber nicht: Fehlende Rettungsgassen sind erstmal der Vielzahl von Autofahrenden zuzuschreiben, und nicht den beiden am Schild festgeklebten Menschen. Außerdem gibt die Letzte Generation laut einem Statement solche Aktionen vorher bei der Polizei an und bittet um eine Umleitung von Einsatzfahrzeugen: Wieso ist das nicht geschehen? Viele Fragen sind offen, nicht zuletzt, ob das Spezialfahrzeug überhaupt zur Bergung verwendet worden wäre. In meinen Augen zu viele Fragen, um die Heftigkeit und Erbostheit zu rechtfertigen, mit der auf den zivilen Ungehorsam der Letzten Generation reagiert wurde.

Die Innenministerin Nancy Faeser twittert im Zuge dieser Berichterstattung beispielsweise: „Wer Rettungswege versperrt, setzt Menschenleben aufs Spiel. Das haben wir in dieser Woche in Berlin auf furchtbare Weise gesehen. Die #Polizei hat meine vollste Unterstützung für ein hartes Durchgreifen.“ Die naheliegende Frage, die sich daran anschließt ist doch: Gilt das ab sofort auch für Falschparkerinnen und Rettungsgassenblockierer im Straßenverkehr? Gefragt haben es unter dem Tweet viele. Eine Antwort oder vielleicht sogar eine Klarstellung gab es nicht. Und das macht mich nachdenklich.

Protest darf keine Menschenleben gefährden

Für mich ist klar: Natürlich darf ein Protest Menschenleben nicht gefährden. Denn wie es auch Wirtschaftsminister Robert Habeck ganz richtig sagt: „Beim Klimaschutz gehe es darum, Leben und Freiheit zu schützen.“ Gerade wenn es um Menschenleben geht, wäre mir aber ein Fokus auf die Fakten sehr wichtig: Stattdessen wurde in diesem Fall geschickt der Diskurs manipuliert und mit vermeintlich starken Durchgreifparolen Stimmung gegen die Klimaproteste gemacht.

Ähnlich ist es bei den anderen Protesten: Streng genommen gefährdet Tomatensuppe weder verglaste Gemälde noch Menschenleben – doch es werden Haftstrafen gefordert oder sogar umgesetzt, und die mediale Empörung lenkt in allen Fällen erfolgreich den Fokus galant vom eigentlich zu Grunde liegenden Problem: mangelnder Klimapolitik.

Hartes Durchgreifen in Sachen Klimaschutz erwünscht

Dass es Klimaprotest braucht steht für mich außer Frage. Schließlich sind unser Leben und unsere Freiheit durch das inkonsequente Handeln unserer Regierung in Gefahr. Und Optimismus allein reicht in Sachen Klimaschutz definitiv nicht. Da auch Fridays for Future, Greta Thunberg und Luisa Neubauer Empörung und Häme zur Genüge erfahren, frage ich mich: Welche Form von Klimaprotest darf es denn überhaupt sein? Und wo bleibt das harte Durchgreifen und die mediale Empörung über Falschparker und Falschparkerinnen und Rettungsgassenblockaden im täglichen Straßenverkehr? Dazu habe ich zumindest in den letzten Tagen wenig gelesen – aber vielleicht konzentrieren sich ja alle gerade ganz optimistisch und mit voller Energie auf bahnbrechenden und wirksamen Klimaschutz bei der Klimakonferenz in Ägypten. Unseres Lebens und unserer Freiheit willen. Hartes Durchgreifen ist auch hier erwünscht.

Insa Thiele-Eich ist Meteorologin und forscht an der Universität Bonn an den Zusammen­hängen zwischen Klimawandel und Gesundheit. Seit 2017 trainiert sie im Rahmen der Initiative „Die Astronautin“ als Wissenschaftsastronautin für eine zweiwöchige Mission auf der Internationalen Raumstation – und wäre damit die erste deutsche Frau im All. Hier schreibt sie alle zwei Wochen über Raumfahrt, den Klimawandel und die faszinierende Welt der Wissenschaft.

Von Insa Thiele-Eich/RND