Die Inszenierung Katars – und die der deutschen Elf – landeszeitung.de

Die gleichen Sprüche auf den Plakaten, die gleiche Gangweise, die gleiche Musik – aber nur vom Band beziehungsweise den mitgeführten Trommeln. Videos, wie angebliche Fußballfans zu Hunderten durch Doha ziehen, mit Flaggen, ins Gesicht gemalte Fähnchen, auf Rollschuhen fahrend, machen derzeit in den sozialen Medien die Runde – und sorgen für reichlich Spott und bisweilen sogar Wut. Also wirklich – wer fährt auf Rollschuhen in Deutschland-Montur einfach so durch Doha?

Zu offensichtlich ist, dass es sich um keine tatsächlichen Fans handelt. Es wird nicht gesungen oder wirklich gejubelt. Die Männer – denn Frauen sind nicht zu sehen – wedeln zwar mit Fahnen und Schals, recken bisweilen die Hände gen Himmel, doch die Lippen sind stumm. Es sind nahezu ausschließlich Männer aus Indien, Bangladesch und anderen Ländern, die die Trikots tragen. Und die Fanmärsche sind identisch, ob nun Brasilien, Argentinien, Portugal, Spanien oder eben Deutschland.

Fanvideos aus Katar: Die Überraschtheit überrascht

Und auch wenn immer mal wieder professionelle Kameras am Bildrand zu sehen sind, die Videos wurden nicht von offiziellen Accounts auf Tiktok geteilt, sondern von angeblichen Fans, normalen Menschen quasi. Die Videoleute, sie scheinen einfach immer zufällig genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, als die große Masse an ausländischen Fans in Katar schon mehr als eine Woche vor Turniereröffnung einfiel, ohne, dass es jemand außer Katar gemerkt hätte.

Die Überraschung, mit der diese Videos nun kommentiert werden, überrascht vielleicht mehr als die Videos selbst. Dass Katar Menschen Flugtickets, Unterkunft und Spesen bezahlt, damit diese sich als Fans ins Stadion setzen, ist längst bekannt. Wer bedenkt, dass sich das Land im Handball sogar eine Nationalmannschaft für die Heim-WM gekauft hat, in dem ausländische Spieler für viel Geld im Eilverfahren eingebürgert wurden, kann also nicht verwundert sein. Das Satiremagazin „Der Postillon“ hat gar schon darüber gewitzelt, dass Katar sich bald Hooligans kaufe, die Innenstädte zerstören, um ein authentisches Fanbild zu vermitteln.

Selbstinszenierung, Marketing, Events, Geld – das kennt man beim DFB

Allenfalls ist es der Dilettantismus, mit dem die Videos produziert und verbreitet wurden, der überrascht. Katar ist ein Meister der Selbstinszenierung. Dieses Turnier dient, wie all die sportlichen Events in der Vergangenheit, dazu, Geld ins Land zu holen und sich selbst zu vermarkten – als tolles Land, als Ort der guten Laune, des sportlichen Erfolgs, der glücklichen Menschen. Ein Land, in das man gerne in Urlaub fährt.

Und genau hier ist eine Parallele zu erkennen. Selbstinszenierung, Marketing, Events, Geld und gute Laune – das sind doch auch all die Dinge, für die die deutsche Männernationalmannschaft in den vergangenen Jahren stand. Zu sehen in dem Video: Eventfans, die völlig übertreiben mit Flaggen und Fähnchen und Schals – die künstlich aufgeregt sind und gut gelaunt herumtanzen, ohne echte Emotionen zu zeigen. Und genau das auf den Status quo: die Mannschaft, ein Konstrukt. Ein Team, das als Produkt zur Vermarktung dient. Spiele, die zu Megaevents hochstilisiert werden, mit Halbzeitshow und Klatschpappen. Und Fans, die eben jenes Event mehr schätzen als den Fußball und deren Highlight des Tages ein Selfie mit DFB-Maskottchen Paule ist.

Die Emotionen, die es in der Fußball-Bundesliga gibt, die sich jedes Wochenende im Positiven wie im Negativen zeigen, die gibt es bei der Nationalmannschaft längst nicht mehr. Das Sommermärchen 2006, es ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten.

Der DFB bekommt die Fans, die er wollte

Die Fans des Vereinsfußballs haben sich längst zurückgezogen vom Schwarz-Rot-Gold-Märchen – und Platz gemacht für jene, die einmal entspannt den besten Kickern des Landes zugucken wollen. Nicht erst seit der WM-Vergabe nach Katar 2010 ist das so. Über die Stimmung bei Deutschland-Heimspielen werden seit Jahren Witze gemacht, ebenso über den nun wieder abgeschafften Marketingnamen „Die Mannschaft“ sowie die Inszenierung der Länderspiele – die eben gar nicht so viel anders ist als die Inszenierung der WM-Spiele. Lassen wir die großen politischen Themen Menschenrechte und Korruption außer Acht, geht es vor allem darum, Sendezeit zu bekommen, sich positiv darzustellen und viel, viel Geld mit einem künstlichen Produkt zu verdienen.

Und genau wie Katar gibt sich auch der DFB keinerlei Mühe mehr, Emotionalität zuzulassen oder gar zu fördern. „Dass der DFB nicht den Hauch eines Gefühls dafür hat, wie das aktuelle Jahrtausend so funktioniert, ist nicht neu. Und doch ist man dann wieder erstaunt, dass der Tiefpunkt der Unemotionalität in Sachen Männernationalmannschaft noch immer nicht erreicht ist“, bescheinigte jüngst Thomas Knüwer, Gründer der Digitalberatung Kpunktnull. Er bezog das vor allem auf die uralte Website und die lieblose Verkündung des WM-Kaders. Und deshalb bekommt der DFB eben auch diese Fans, die er hat. Fans, die ein Trikot kaufen und Fähnchen schwenken. Aber eben auch welche, die sich nicht identifizieren mit der deutschen Elf. Fans, die vermutlich nicht einmal die Spieler des WM-Kaders namentlich kennen.

Von Miriam Keilbach/RND