Diversitytrend in internationalen TV-Produktionen setzt sich fort – landeszeitung.de

Diversity ist ein Schlagwort, das vor allem in Hinsicht auf Geschlecht und sexuelle Orientierung auf Vielfalt setzt. Aber es bedeutet noch viel mehr: den Blick auf ethnische und soziale Herkunft, auf Menschen mit Handicaps und auf alle Gruppen, die die Vielfalt einer Gesellschaft neben dem Mainstream ausmachen. Dieser Fokus hat sich bei TV-Sendern und Streamingportalen in letzter Zeit massiv verstärkt, dafür stehen Serien wie „Bridgerton“ und „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“, deren Figurenpersonal nicht vorwiegend aus weißen und männlichen Helden besteht.

Der Trend hat sich jüngst auch auf der weltgrößten TV-Messe Mipcom in Cannes gezeigt. Dort sind inzwischen die Diversify Awards wichtiger Teil der Veranstaltung und geben einen globalen Überblick. Nominiert war etwa „Audrey‘s Back“. In der kanadischen Serie geht es um die 17-jährige Audrey, die viele Jahre im Koma verbrachte und nun wieder alles neu erlernen muss. Das Thema Behinderung wird hier auch mit vorsichtigem Humor behandelt.

Diversity weiter auf dem Vormarsch

Oder „Proud to be me“, in der Gary, Tony und Janaye lernen, sich gegen Rassismus zu wehren. Die US-Produktion für Vorschulkinder erhielt in Cannes einen Preis. Für Mipcom-Chefin Lucy Smith zeigt allein schon die Zahl von über 200 Einreichungen, dass die Thematik weiter auf dem Vormarsch ist. Deutsche Formate waren nicht nominiert, während der angloamerikanische Markt in diesem Bereich innovativ vorangeht.

Fast alle Programmverantwortlichen Großbritanniens haben klar gemacht, dass bei ihnen Inklusion und Diversity ganz oben auf der Agenda stehen. So finanzieren BBC und Netflix seit einem Jahr gemeinsam neue Dramen mit behinderten Kreativen vor und hinter der Kamera. Auslöser war die Erkenntnis, dass gehörlose und behinderte Menschen einige der am wenigsten vertretenen Gruppen im Fernsehen in Großbritannien sind.

Auch in Deutschland wird Diversität wichtiger

Aber auch hierzulande wird das Thema immer wichtiger. Gerade ist auf Vox das Format „Zum Schwarzwälder Hirsch – eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer“ gestartet. 13 Menschen mit Down-Syndrom werden dabei beobachtet, wie sie für den Einsatz in der Gastronomie fit gemacht werden – in der Diakonie-Einrichtung Hofgut Himmelreich. „Wir wollen beweisen, dass Mitmenschen mit einer Beeinträchtigung genauso ihren Beitrag zu einem Unternehmen liefern können“, kommentierte der Leiter Albrecht Schwerer.

Die BBC hat bereits im letzten Jahr George Webster als Moderator für eine Kindersendung engagiert. Der junge Mann mit Down-Syndrom ist inzwischen ein Hoffnungsträger für viele betroffene Kinder in England.

Streamingportale erreichen Minderheiten rund um den Globus

Für Pro Sieben Sat.1 betont der Programmverantwortliche Hendrik Pabst die Bedeutung von Diversität: „Zahlreiche Thementage – vom Weltfrauentag über den Pride-Day bis hin zum Internationalen Tag gegen Rassismus – finden regelmäßig Einzug in unser Programm.“

Woran es liegt, dass das Thema im Streamingbereich sowie im Fernsehen seit zwei Jahren noch einmal richtig Fahrt aufgenommen hat, ist nicht eindeutig zu klären, aber die Pandemie hat so manche marginale Gesellschaftsgruppe wesentlich stärker getroffen als den Rest der Bevölkerung. Und das dürfte auch auf die weiteren Auswirkungen des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine zutreffen. Die Streamingportale wiederum, die ihre Formate meistens weltweit anbieten, erreichen damit Minderheiten rund um den Globus – die zusammen eine marktrelevante Masse darstellen.

Entwicklung kann nur ein Anfang sein

Aber die Entwicklung kann nur ein Anfang sein. Im Rundfunkrat der Deutschen Welle sind laut einer Untersuchung der Neuen deutschen Medienmacher Menschen mit Mi­gra­tions­hin­ter­grund zum Beispiel überhaupt nicht vertreten.

Dass noch immer mehr als genug zu tun ist, um gesellschaftliche Minderheiten in den Medien sichtbar zu machen, darauf machte auch die Moderatorin der Diversify Awards Femi Oke in Südfrankreich noch einmal aufmerksam, als sie darauf hinwies, dass die, über die berichtet wird, auch selbst zu Wort kommen sollten, und nicht irgendwelche „telegenen Experten“. Sie schloss mit der Frage: „Aber warum müssen wir heute noch darüber sprechen?“

Von Wilfried Urbe/RND