Ein Satellit für die Ukraine: die spektakulären Spenden­aktionen eines TV‑Stars – landeszeitung.de

Kiew. Serhiy Prytula ist immer noch einer der berühmtesten TV‑Stars der Ukraine, auch wenn das Fernseh­geschäft für ihn inzwischen der Vergangenheit angehört. „Ich habe Menschen glücklich gemacht“, sagt der 41‑Jährige. „Ich habe es gemocht, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.“ Prytula ist Moderator gewesen und hat in einer Comedyshow mitgewirkt, eine Zeitlang hat er auch politische Ambitionen gehabt. Heute widmet er seine Zeit und Kraft dem Krieg. Seine Stiftung unterstützt die ukrainischen Truppen im Kampf gegen die russischen Besatzer. Umgerechnet mehr als 85 Millionen Euro Spenden­gelder hat Prytula nach seinen Angaben bislang eingesammelt. Seine Aktionen haben das Zeug für Schlagzeilen – beispielsweise die, mit der er den Streitkräften einen Satelliten organisiert hat.

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Die nach ihrem Gründer benannte Stiftung liegt im Zentrum der Hauptstadt Kiew. Vor dem Gebäude parken zivile Allrad-Fahrzeuge, die an Einheiten an der Front übergeben werden sollen. Im Erd­geschoss stellen Freiwillige Erste-Hilfe-Sets zusammen, in einem anderen Raum lagern Drohnen, wie man sie auch im Elektromarkt kaufen kann – die Soldaten nutzen sie unter anderem zur Ziel­ermittlung für ihre Artillerie. In Regalen stapeln sich Akkus, Zielfernrohre und Funkgeräte.

In einem weiteren Zimmer ist die Operations­zentrale, hier werden die eingehenden Wünsche der Armee­einheiten aus dem Kampfgebiet verarbeitet. Die jeweiligen Artikel werden dann in die näher an der Front gelegene Stadt Dnipro gefahren und von dort aus verteilt. „Der Bedarf ist endlos“, sagt Prytulas Sprecherin Maria Pysarenko.

Der Weg vom Aufzug zu Prytulas Büro führt vorbei an einer kleinen Ausstellung, in der Trophäen vom Schlachtfeld präsentiert werden: Wrackteile eines russischen Kampfjets und die Überreste einer Drohne beispielsweise. Ukrainische Soldaten schickten erbeutete Gegenstände als Dank für die Unterstützung, sagt Pysarenko – etwa den Helm eines getöteten russischen Soldaten. Auch ein kleines Notizbuch ist Teil der Sammlung, die Sprecherin bezeichnet es als „Tagebuch eines Besatzers“, der Verfasser hat es mit dem verharmlosenden Titel „Reise in die Ukraine“ versehen. Am 24. Februar ist darin der Einmarsch vermerkt, zwei Tage später steht dort, dass die Soldaten unter Panzerfeuer geraten seien. Am 21. März hält der russische Soldat fest, dass seine Einheit mit Mörsern beschossen werde. Es ist sein letzter Eintrag.

Vom Moderator zum Stiftungsgründer

Stiftungsgründer Prytula empfängt die Reporter aus Deutschland im obersten Stock des Gebäudes. Der 41‑Jährige sitzt vor einer gigantischen Wandkarte der Ukraine aus Holz, auf der die Flüsse ausgespart und blau beleuchtet sind. Der Ex-Moderator kennt sich mit der Wirkung von Bildern aus, fürs Foto will er seine Notizen und den Stift vor sich liegen haben, damit er nicht untätig aussieht. „Ich habe meine TV‑Karriere geliebt“, sagt Prytula. Jetzt arbeite er aber rund um die Uhr für seine Stiftung, gemeinsam mit rund 100 Vollzeit-Freiwilligen. „Ich habe das Gefühl, das Richtige zu tun“, sagt er. „Ich habe die Möglichkeit, unseren Streitkräften zu helfen.“

Der russische Überfall hat in der Ukraine zu einer beeindruckenden Geschlossenheit der Gesellschaft geführt. Die allermeisten Ukrainer sehen die Existenz ihres Landes bedroht, der Überlebens­kampf schweißt zusammen. Zahlreiche Menschen unterstützen die Soldaten auf verschiedenste Art und Weise, wenn sie nicht gleich selbst kämpfen. Viele Initiativen sind entstanden, die Geld- oder Sachspenden einsammeln und die Truppen beispielsweise mit Schutzwesten oder Drohnen versorgen. Eine der wichtigsten davon ist Prytulas Stiftung.

Hilfe für den Kampf der Ukrainer kommt dabei aus dem überfallenen Land selbst, aber auch aus dem Ausland – besonders in Osteuropa befürchten viele Menschen, dass Kremlchef Wladimir Putin wieder ein russisches Imperium errichten möchte. Prytulas Stiftung nimmt Überweisungen in der Landes­währung Hrywnja, aber auch in Dollar, Euro, polnischen Zloty, tschechischen Kronen, britischen Pfund, Schweizer Franken sowie norwegischen und schwedischen Kronen an. Spenden per Paypal sind ebenfalls möglich, auch Krypto­währungen sind willkommen.

Prytulas bislang größter Coup, der über die Ukraine hinaus für Aufsehen gesorgt hat: Die Beschaffung eines Satelliten. Ursprünglich hatte Prytula eine Crowdfunding­kampagne gestartet, um Bayraktar-Kampfdrohnen des türkischen Herstellers Baykar zu kaufen. Als in weniger als drei Tagen umgerechnet gut 15 Millionen Euro zusammen­kamen, verkündete das Unternehmen im Juni, der Ukraine drei der Drohnen zu schenken. „Wir sind berührt von der Solidarität und Entschlossenheit angesichts scheinbar unüber­windbarer Heraus­forderungen“, teilte Baykar damals mit. Die Spenden sollten stattdessen kämpfenden Ukrainern zugute­kommen.

Er habe sich daraufhin mit Verteidigungs­minister Oleksij Resnikow beraten, wie die eingesammelten Mittel am sinnvollsten verwendet werden könnten, erzählt Prytula. „Resnikow sagte, lass uns versuchen, einen Satelliten zu kaufen.“ Im August teilte der finnische Satellitenbetreiber Iceye mit, nach einer Vereinbarung mit der Stiftung werde man der Regierung in Kiew einen bereits in der Umlaufbahn befindlichen Satelliten „in vollem Umfang für die Nutzung in der Region zur Verfügung stellen“. Der Hightech­satellit kann mit Radartechnik hochauflösende Bilder auch bei Dunkelheit und durch Wolken machen. Kurz darauf lobte Resnikow, allein in den ersten zwei Tagen seien durch den Satelliten 60 militärische Objekte des Feindes entdeckt worden.

Anfang dieses Monats folgte eine weitere spektakuläre Crowdfunding­aktion: Prytula rief dazu auf, umgerechnet rund 5,5 Millionen Euro zu spenden, um 50 gepanzerte Mannschafts­transporter vom Typ Spartan aus alten britischen Beständen zu kaufen. Das Ziel wurde übertroffen. Nach nur eineinhalb Tagen meldete Prytula, man habe nun genug Geld für 60 der ausgemusterten Transportpanzer. „Wir stellen diese Welt auf den Kopf“, schrieb er auf Twitter. „Gemeinsam unbesiegbar!“

Die Stiftung kauft nicht nur Panzer. Sie arbeitet auch mit zivilen Mechanikern in der Ukraine zusammen, die erbeutetes russisches Kriegsgerät wieder instandsetzen. Mehrere gepanzerte Fahrzeuge – darunter auch sowjetische Kampfpanzer vom Typ T‑72 – seien wieder hergerichtet, neu angestrichen, mit ukrainischen Hoheits­zeichen versehen und den Streitkräften übergeben worden, sagt Sprecherin Pysarenko. „Und Bumm! Russische Panzer werden genutzt, um Russen zu töten. Wir lieben solche Projekte.“ Etwas differenzierter drückt sich die Stiftung auf ihrer Homepage dazu aus, dort heißt es: „Es ist irgendwie symbolisch, dass die Invasoren mit den Waffen konfrontiert werden, die sie selbst hierher­gebracht haben.“

Eine generelle Wut auf Russen schwingt nicht nur im Gespräch mit Pysarenko mit, sondern auch in dem mit ihrem Chef. Alle russischen Staatsbürger müssten verstehen, dass der Rest der Welt sie nur noch als „Mörder, Vergewaltiger und Diebe“ betrachte, sagt Prytula. Ob er selbst das gesamte Nachbarvolk so pauschal verurteilen wolle? Prytula antwortet, dass zumindest jeder Russe, der zu dem Angriffskrieg schweige, eine Mitschuld am Mord von Ukrainern trage.

Aus seiner Sicht geht es in diesem Krieg nicht nur um die Ukraine, sondern um westliche Werte. „Wir kämpfen hier für die Demokratie.“ Auch die Deutschen müssten das verstehen. Es sei falsch zu glauben, dass Waffen­lieferungen den Krieg verlängerten, sagt Prytula. „Nein, wir brauchen Waffen, um diesen Krieg zu beenden.“ Die Ukrainer würden niemanden darum bitten, an ihrer Stelle zu kämpfen. „Aber wir brauchen wirklich moderne Waffen, viele moderne Waffen.“

Lob für den Präsidenten

Seine Ehefrau, seine beiden Töchter und sein Sohn seien wegen des Krieges im weniger unsicheren Westen der Ukraine, sagt Prytula. Er selbst sei beim Einmarsch der Russen gemeinsam mit ein paar Mitarbeitern in Kiew geblieben. „Aber ich war sehr froh, dass wir nicht allein waren“, sagt er. Prytula spielt auf Präsident Wolodymyr Selenskyj an, der ebenfalls in der Hauptstadt ausharrte, obwohl russische Panzer nur noch wenige Kilometer entfernt waren. Das sei „tapfer“ gewesen, lobt Prytula. „Und es war eine große Motivation für uns alle.“

Selenskyj kann wie Prytula auf eine TV‑Karriere zurückblicken. Zur Ironie der Geschichte gehört es, dass Selenskyj in der satirischen Fernsehserie „Diener des Volkes“ ausgerechnet die Rolle eines Lehrers spielte, der plötzlich zum Präsidenten der Ukraine wird. Auch Prytula hat es zwischenzeitlich in die Politik gezogen: Bei der Wahl 2019 kandidierte er erfolglos fürs Parlament, 2020 unterlag er im Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters von Kiews Amtsinhaber Vitali Klitschko.

Prytula verkündete im vergangenen Jahr, eine neue Partei gründen zu wollen. Diese Pläne vereitelte der russische Überfall. „Wir haben in der Ukraine derzeit keinen Präsidenten, sondern einen Ober­befehls­haber, weil wir im Krieg sind“, sagt er mit Blick auf Selenskyjs derzeitige Rolle. „Deshalb ist das keine Zeit für Politiker.“ Dem­entsprechend habe er derzeit auch keine politische Ambitionen. Wie das nach dem Krieg aussehen könnte, lässt er offen. „Lassen Sie uns darüber nach unserem Sieg sprechen.“ Ob er sicher sei, dass der Krieg mit einem ukrainischen Sieg enden werde? Prytula antwortet ohne Zögern: „Daran habe ich keine Zweifel.“

Von Can Merey/RND