Manching. Zumindest an diesem Mittwoch bleibt das Kelten-Römer-Museum im oberbayerischen Manching geschlossen. Auch sei das Team wegen einer Telefonstörung „weder telefonisch noch über E-Mail derzeit erreichbar“, heißt es auf der Homepage. Was aber in der Nacht zum Dienstag in diesem Museum der Marktgemeinde geschehen ist, nennt Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) eine „Katastrophe“.
Besucherinnen und Besucher, Kassenpersonal und Museumspädagogen müssen jetzt und sicherlich noch einige weitere Tage draußen bleiben, stattdessen sind die Kriminaltechniker an der Arbeit. Denn der größte Schatz dieses Museums, 483 Goldmünzen, ist weg. Gestohlen. Das Gold stammt von den Kelten, die um das Jahr 100 vor Christus in Manching ein großes Siedlungsgebiet hatten. Und das Gold, erst 1999 bei Grabungen entdeckt, ist der größte Keltenschatz, der im 20. Jahrhundert in Europa gefunden wurde. Niemand wird jetzt müde zu betonen, wie kulturhistorisch wertvoll und unersetzlich diese Münzen sind – Blume nicht und auch nicht Rupert Gebhard, der in München die Archäologische Staatssammlung leitet, an die Manching angeschlossen ist.
Als äußerst dreist oder auch eiskalt kann man das Vorgehen der Einbrecher bezeichnen. Erst einmal haben sie, so wird auf der Pressekonferenz am Mittwochnachmittag offiziell bestätigt, die Alarmsicherung des Museums untauglich gemacht. Um 1.17 Uhr wurden, so berichtet Guido Limmer, Vizepräsident des Bayerischen Landeskriminalamts, an einer Telekom-Verteileranlage in Manching „viele Kabel abgezwickt“. Der Ort mit seinen knapp 13.000 Einwohnern hatte damit kein Telefon und kein Internet.
Neun Minuten dauerte der Einbruch nur
Neun Minuten darauf, 1.26 Uhr, hebelten die Täter – die Ermittler gehen von mehreren aus – eine Fluchttür des Museums auf. Dies wurde von der Alarmanlage registriert, das konnte aber nicht automatisch an die Polizei weitergemeldet werden. Vom Verteilerkasten zum Museum liegt nur ein Kilometer Entfernung, in den neun Minuten ist diese Distanz laut Limmer problemlos zu bewältigen. Videos zeigen weiter, dass das Gebäude erneut neun Minuten später wieder verlassen wurden, um 1.35 Uhr.
Der Telefon- und Internetausfall wurde in dem zehn Kilometer südöstlich von Ingolstadt gelegenen Ort gleich bemerkt. Die Polizei fuhr vermehrt Streife und schaute vor allem dort vorbei, wo möglicherweise Geld lagert, etwa bei Banken. Das Museum indes hatte keiner auf dem Schirm. Erst als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Dienstag mit der Arbeit begannen, stellten sie fest: Das Gold ist weg. Um 9.45 Uhr ging die Meldung bei der Polizei ein.
Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln nun unter anderem wegen schweren Bandendiebstahls, wie der Ingolstädter Staatsanwalt Nicolas Kaczynski sagt. Näheres wird aus den sogenannten ermittlungstaktischen Gründen nicht bekanntgegeben. Derzeit werden die Überwachungskameras des Museums ausgewertet, ob brauchbare Fotos von Tätern vorhanden sind.
Parallelen zu Einbrüchen in Bode-Museum und Grünem Gewölbe
Raub von wertvollem Gold und Juwelen aus Museen – das hatten wir doch schon. Ende März 2017 war in Berlin im Bode-Museum die 100 Kilogramm schwere Big-Maple-Leaf-Goldmünze gestohlen worden, ein Unikat, der Materialwert lag damals bei 3,8 Millionen Euro. Zwei Mitglieder eines arabischstämmigen Clans wurden drei Jahre darauf für den Diebstahl verurteilt und erhielten Haftstrafen von je viereinhalb Jahren. Ende November 2019 wiederum wurden im Grünen Gewölbe in Dresden 4300 Diamanten im Wert von 114 Millionen Euro geraubt, von den Tätern fehlt jede Spur. Und von dem Gold und Schmuck auch, vermutlich wurde die 100-Kilo-Münze eingeschmolzen und das Gold verkauft.
Die Ermittler sehen natürlich Parallelen zu Manching. Man sei im Austausch mit den Kollegen in Berlin und Dresden, meint der LKA-Mann Limmer, aber mehr sagt er auch nicht. Kunstminister Blume geht von einem Fall von organisierter Kriminalität aus, denn, so sagt er im Bayerischen Rundfunk (BR): „Klar ist, du marschierst nicht einfach so in ein Museum rein und nimmst dann diesen Schatz mit.“ Die Polizei hat eine 20-köpfige Sonderkommission „Oppidum“ gebildet – so der Name der damaligen keltischen Großsiedlung.
Welchen Wert der Schatz von Manching hat, darüber wurden am Mittwoch ganz unterschiedliche Angaben gemacht. Rupert Gebhard von der Archäologischen Sammlung führt aus, dass die insgesamt 3,724 Kilogramm schwere Sammlung einen reinen Goldwert von gegenwärtig etwa 250.000 Euro hat. Es gibt aber auch einen Handelswert für die einzelnen Münzen, je nach Seltenheit und Prägung zahlen Sammler deutlich mehr als den Goldpreis. Da geht Gebhard von 3000 bis 4000 Euro pro Stück aus, das wären dann 1,6 Millionen Euro.
Allerdings sind die Münzen „gut dokumentiert“, Gebhard hält es für schwer denkbar, dass sie illegal einzeln verkauft werden können. Die schlimmste Variante ist die wahrscheinlichste: Finden die Fahnder die Münzen nicht, dann dürften sie eingeschmolzen und für den Goldpreis verkauft werden. „Ich könnte heulen“, hatte Gebhard der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt.
Goldschatz als „Kriegskasse“?
Denn unwiederbringlich verloren ginge damit auch der Wert als Kulturschatz und für die Forschung. Ein kleiner Ausflug mehr als 2000 Jahre zurück: Manching war mit 5000 bis 10.000 Bewohnern eine sehr große Siedlung. Später, nach deren Niedergang um 100 nach Christus, kamen die Römer. Die 483 Münzen weisen laut dem Fachmann Gebhard zum einen darauf hin, dass in Manching auch die Kelten-Oberschicht oder ein Stammesführer gelebt hatte. Möglicherweise seien sie eine Art „Kriegskasse“ gewesen.
Zum anderen lässt das Gold Rückschlüsse auf die Handelswege des Volkes zu. Die Münzen sind keine, so klärt das Museum auf, üblichen „Regenbogenschüsselchen“ aus dieser Zeit. Sondern sie stammen aus Böhmen und waren deutlich wertvoller. Geforscht wird auch anhand der Münzen daran, inwieweit die Kelten sehr rege wirtschaftliche Kontakte nach Böhmen hatten.
Mit dem Diebstahl beginnt erneut die Debatte, inwieweit Museen bestmöglich geschützt sind, und ob man solche Stücke nicht lieber als Kopien zeigen sollte. Minister Blume meint, dass in Manching alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten worden seien. Es hinterlässt aber eine gewisse Ratlosigkeit, wenn eine solche Tat schon durch das Kappen von Telefonkabeln möglich ist. Von Nachbildungen wiederum hält Museumsmann Gebhard nichts: „Die Menschen wollen die Originale sehen.“
Nach dem Fund des Goldes erfüllte sich für viele geschichtlich interessierte Bürgerinnen und Bürger in Manching ein kleiner Traum: Das Kelten-Römer-Museum wurde am Rande des Ortszentrums erbaut und 2006 eröffnet. Das Gold war das Herzstück des Hauses, die Bürger sahen es als ihren Schatz an, daneben gibt es an zweiter Stelle noch gut erhaltene Römische Boote. Jetzt ist der Schatz weg, und nicht nur ein LKA-Sprecher sagt an diesem Tag: „Es ist wie in einem schlechten Film.“
Von Patrick Guyton/RND