Experte: „WM-Boykott hätte keinen nennenswerten Effekt mehr“ – landeszeitung.de

Boykottieren oder nicht? Um diese Frage ist wenige Tage vor Beginn der heftig kritisierten Fußball-WM in Katar eine neue Debatte entbrannt. Fanorganisationen hissten am Wochenende bei Bundesliga-Spielen Boykottbanner, Experten und die Innenministerin sehen einen Boykott kritisch.

Zwei Wochen vor Beginn der Fußball-WM in Katar ist erneut eine Debatte über einen TV-Boykott der Spiele entbrannt. Am Samstag hatten Fans des FC Bayern München und von Hertha BSC kurz nach Anpfiff der Bundesliga-Partie auf großen Bannern zum Boykott aufgerufen. „15.000 Tote für 5760 Minuten Fußball! Schämt euch“, stand auf einem Plakat, ein anderes zeigte den Schriftzug „Boycott Qatar 2022″. Bei weiteren Bundesliga-Spielen gab es am Wochenende ebenfalls Boykottaufrufe.

„Ein Fernsehboykott bewirkt überhaupt nichts“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser der „Welt am Sonntag“. Eine solcher Schritt sei nicht dazu geeignet, Veränderungen im Gastgeberland anzustoßen. Laut dem Sportökonom Wolfgang Maennig von der Universität Hamburg sei es für einen wirkungsvollen Boykott zu spät. „Ein Boykott der WM in Katar hätte keinen nennenswerten Effekt mehr“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Sponsorenverträge sind längst abgeschlossen, so der Experte, und sind durch einen Boykott kaum betroffen. Auch der angekündigte Fernsehboykott von Gastronomen werde die Einschaltquoten nicht messbar beeinflussen.

Wie wirkungslos Boykottaufrufe sind, zeige die Geschichte der Boykotte von Sportgroßveranstaltungen. „Beinahe alle Olympischen Spiele sind von irgendjemandem boykottiert worden“, sagte Maennig.

Katar steht wegen massiver Menschenrechtsverstöße schon lange in der Kritik. Während der Bauarbeiten für die WM war es immer wieder zu tödlichen Unfällen auf den Baustellen gekommen. Die katarische Regierung wies Teile der Kritik zurück und betonte, man habe Reformen angestoßen. Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Reformen jedoch als unzureichend.

Fanverbände hatten nach der WM-Vergabe an Katar schon früh einen Boykott aus humanitären Gründen gefordert. Laut Thomas Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, sei darüber aber von den Organisatoren nie ernsthaft diskutiert worden. Führende Fußballnationen hätten nicht über ein alternatives Turnier nachgedacht, sagte der Experte im Sportausschuss des Bundestags. „Dortmund statt Doha wäre mutig gewesen“, so Beschorner. „Frühzeitig bedacht wäre eine solche Initiative durchaus auch nicht unrealistisch gewesen.“

Für einen Boykott hatte sich zunächst auch Dietmar Schäfers, Vize-Präsident des Gewerkschaftsnetzwerks BHI, ausgesprochen, dann jedoch seine Haltung geändert. „Ich bin heute sogar dankbar, dass die Fifa die Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar vergeben hat, weil wir über Katar noch nie so eine große Diskussion über das Thema Menschenrechte und Arbeitsrechte hatten vor solchen Sportevents“, erklärte er im Sportausschuss. Es sei nun am DFB, als größter Sportverband der Welt innerhalb der Fifa mehr Druck bei der Umsetzung der Menschenrechte in Katar zu machen.

Von Sven Christian Schulz/RND