Da lügen sich die gestrengen Herrenmenschen ihre Welt zurecht: dass sie „unter Seinem Auge“ die Idee eines Himmelreichs auf Erden verwirklicht hätten. Aber Gilead ist nur eine faschistische Diktatur auf früherem US‑Boden, eine Art drittes Himmelreich der allergiftigsten Männlichkeit, in der Gottesnazis Frauen jedwede Bildung verbieten und Sklavinnen halten, die ihnen den Haushalt führen oder – anstelle ihrer (nur vorgeblich) unfruchtbaren Gattinnen – von ihnen geschwängert werden.
Wie in der wirklichen Welt Putins Russland ist das fiktive Gilead ein global verachtetes, indiskutables Politgebilde, das nun einen Propagandaschlag plant – die weltweite Ausstrahlung der Beerdigung von Commander Waterford, die zeigen soll, dass es Tränen gibt in Gilead, Liebe, Trauer und viel viel Menschlichkeit.
Blutige Rache – die vierte Staffel endete mit einem Mord
Jener Waterford (Joseph Fiennes), wir spoilern hier nun also als Erstes das Ende der vierten Staffel, wurde von den eigenen Leuten zur Jagd freigegeben, wurde erschlagen, ersäuft – von seiner Ex‑Magd June Osborne (Elisabeth Moss) und anderen hasserfüllten Missbrauchten Gileads, deren Taschenlampen in grandiosen Bildern geisterhaft durch den nächtlichen Wald tanzten, als sie zu dem flüchtigen Lynchopfer aufholten.
Waterford war Junes „Eigentümer“ gewesen, ein selbstverliebter Sadist, dessen Moral doppelbödig war, wie die vieler Machtmänner von Gilead, die scheinheilig Gottes Gesetze predigten und heimlich verbotene Freuden in Bordellen genossen. Der Staat war an der Spitze verdorben, die Exekution einer seiner Führer war ein weiterer Triumph des Widerstands.
Wir sind nun in Runde fünf der Serie „The Handmaid’s Tale“ nach dem 1985 erschienenen dystopischen Roman „Der Report der Magd“ der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood. Die hatte Amerika schon damals als von den Albtraumfäden eines christlichen Fundamentalismus durchzogen empfunden.
Die Fiktion liefert sich ein Rennen mit der Wirklichkeit
Und blickt man auf fanatische Evangelikale in den heutigen USA, die den Mammon verehrenden Ungeistern wie Donald Trump und den Maga-Republikanern die Treue halten und die Lichter von Humanismus und Wissenschaft löschen wollen zugunsten einer wortwörtlich zu nehmenden Heiligen Schrift, überzieht einen angesichts dieser abgründigen und beklemmenden Vision von Atwood und Serienschöpfer Bruce Miller doppelt Gänsehaut.
Sah man in der ersten Staffel June erstmals aus der Vogelperspektive in ihrer Dienerinnenrobe, erkannte man schon damals das Blutrot des unweigerlich kommenden Aufstands. Jetzt treffen wir die Heldin blutverschmiert und voller widerstreitender Gefühle. Die gewohnt großartige Elisabeth Moss trägt zunächst den verträumten Blick bösen Glücks, weich ist ihr Gesicht und süß von der vollendeten Rache. Blut des ermordeten Commanders färbt bald auch das Gesicht von Baby Nicole, das sie in den Arm schließt. Und schließlich schrubbt sie sich die Spuren ihres Peinigers und Vergewaltigers von der Haut, als wolle sie sie abschmirgeln.
Heldin June fühlt sich rastlos, Antipodin Serena inszeniert ihre Trauer
Ein andere June ist zu ihnen zurückgekehrt, das wird ihrem Ehemann Luke und ihrer besten Freundin Moira bald klar. June fühlt sich in der Ruhe und Freiheit Kanadas rastlos und unfrei, immer wieder scheint sie von Anflügen des Wahnsinns heimgesucht. Und dann streckt sie die Fühler wieder nach Gilead aus, wo weiterhin Hannah lebt, ihre andere Tochter, die sie nicht aus der Gefangenschaft befreien konnte.
Ruhig und umso bedrohlicher sind die ersten neuen Folgen. Yvonne Strahovski ist als Serena Waterford eine Witwe, die den Betrachter erschaudern lässt – ob sie nun im Leichenschauhaus erschüttert den Absturz der Macht im geschundenen Körper ihres Mannes betrachtet oder in Schwarz der Friedhofsprozession voranschreitet und für die ganze Welt zu einer Ikone des schweren Herzens wird. Das Schauspiel ist von Kamerafrau Nicola Daley grandios fotografiert (wie in dieser Serie seit je auf die Wucht des Bildes gesetzt wird) und im Wissen der globalen Übertragung hält Serena Waterford für June die schlimmstvorstellbare Überraschung bereit.
Der Gottesstaat duldet keine „ungewöhnlichen“ Frauen
Ohne freilich zu ahnen, dass der Gottesstaat die Heimgekehrte nicht weiter auf seinem Boden dulden will: „Sie werden unsere Weltbotschafterin, wir wollen Sie in Toronto“, bescheidet sie der Staatsrat. Und der undurchsichtige Commander Lawrence (Bradley Whitford), der eben noch milde lächelnd ihren Babybauch streichelte, macht ihr die patriarchalischen Gründe für ihre Abschiebung deutlich: „Sie sind eine ungewöhnliche Frau. Und wir haben nicht die geeignete Infrastruktur, dass ungewöhnliche Frauen in unseren Grenzen leben könnten.“
Der Zuschauer erfährt auch Neues von Junes Freundin Janine, die ihre anfängliche Aufsässigkeit gegenüber der Diktatur mit dem Verlust eines Auges bezahlte und die in der vierten Staffel die Flucht nicht geschafft hatte und weiter die Robe der Handmaids trägt. Man begegnet der drakonischen „Erzieherin“ Tante Lydia (Ann Dowd), bei der nach allen Grausamkeiten Reue einsetzt – möglicherweise. Und man sieht Nick, Junes Liebhaber und zwielichtigen Beschützer, der in Gileads Hierarchie aufgestiegen ist, dessen Karriere aber von missbilligenden Augen überwacht wird. Und an einen Kuss der wahren Liebe wird erinnert, geküsst in einem bösen Königreich, in dem Gott zur Marionette böser Männer herabgewürdigt wurde.
Am Flughafen von Toronto stehen dann die gefühlsduseligen kanadischen Gilead-Fans mit Begrüßungskerzen für Serena und Tränen in den Augen – Leute, die Glaube und Diktatur nicht auseinanderhalten können. Und die uns an ganz verschiedene rechthaberische Gruppen unserer Gegenwart erinnern. Zu kurz denkende Leute, die Ego über Solidarität stellen oder die im Krieg in der Ukraine auf die Propaganda einer Diktatur hereinfallen, als hätte es den Nationalsozialismus in Deutschland nie gegeben, Opfer und Täter verwechseln und einem Diktator Zugeständnisse machen würden für einen falschen Frieden.
Sie alle bekommen von „The Handmaid’s Tale“ eine schallende Ohrfeige.
„The Handmaid’s Tale“, Staffel fünf, zehn Episoden, basiert auf dem Roman von Margaret Atwood, mit Elisabeth Moss, Yvonne Strahovski, Ann Dowd, Max Minghella, Bradley Whitford, Madeline Brewer (ab 10. November bei Magenta TV)
Von Matthias Halbig/RND