Klonen – die letzte Rettung für die Artenvielfalt? – landeszeitung.de

Ein letzter prüfender Blick, dann schnellt Mayas Pfote nach vorne. Es sieht bald so aus, als würde die Polarwölfin eine Spinne zerquetschen wollen; doch ihr Angriff gilt einem Leckerli. Einem Stück Knochen, das nur wenige Zentimeter vor ihrer Schnauze auf dem Boden liegt. Sie zieht es mit der Pfote zu sich, gräbt ihre spitzen Zähne hinein. Ihre Jagdversuche konnte am 19. September die ganze Welt verfolgen. Die chinesische Firma Sinogene Biotechnology Company hatte die Szene als Video während einer Pressekonferenz präsentiert.

Maya ist eine wissenschaftliche Sensation: Sie ist der weltweit erste geklonte Polarwolf. Ihr Erbgut stammt von einem ausgewachsenen arktischen Wolf, ebenfalls mit dem Namen Maya, der im vergangenen Jahr in einem Wildpark im Nordosten Chinas an Altersschwäche verstorben war. Die Firma Sinogene Biotechnology Company hatte Hautzellen des Tieres isoliert, deren Zellkerne entnommen und in unreife, kernlose Eizellen von Hunden eingepflanzt. Somatischer Zellkerntransfer heißt dieses Verfahren. So entstanden 137 Polarwolf-Embryonen.

Alles, was es jetzt noch brauchte, waren Leihmütter. Es gab jedoch nicht genügend Polarwölfinnen in Gefangenschaft, die sich für die Experimente geeignet hätten. Die Forschenden setzten deshalb auf Hunde, genauer gesagt auf Beagle. Weil sie genetisch mit den Wölfen nah verwandt sind, eignen sie sich ebenfalls als Leihmütter. Am Ende gelang es dem Forscherteam, 85 Embryonen erfolgreich in sieben Beagle einzupflanzen. Nach Angaben der chinesischen Tageszeitung „Global Times“ entwickelte sich aber nur einer dieser Keimlinge während der Schwangerschaft vollständig. Es war Maya.

Genetikerin: Klonen ist „ein kleines Wunder“

„Dass das Klonen funktioniert, ist für mich immer noch ein kleines Wunder“, sagt Claudia Klein. Sie leitet das Friedrich-Loeffler-Institut für Nutztiergenetik in Neustadt (Niedersachsen). Dort führen sie und ihr Team ebenfalls gelegentlich Klonexperimente durch – allerdings nur zu Forschungszwecken und mit landwirtschaftlichen Nutztieren. Kleins Amtsvorgänger hatte 2006 zum Beispiel einen Lakenvelder-Bullen geklont. Eine Rinderrasse, die vom Aussterben bedroht ist. Der Bulle habe sich in den vergangenen Jahren erfolgreich fortgepflanzt und Nachwuchs gezeugt, berichtet Klein.

Gefährdete Tierarten klonen – das klingt eigentlich nach einem probaten Mittel, um Arten zu schützen. Bevor die Tiere aussterben, werden sie einfach im Labor nachgezüchtet. So ließe sich verhindern, dass Bestände stark schrumpfen oder gar für immer verschwinden, und dadurch Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten. Doch in der Praxis ist eine solche Artenrettung nahezu unmöglich.

Viele Tiere, wenig Erfolg

Die „Rote Liste“ der Weltnaturschutzunion (IUCN) wird immer länger: Mittlerweile umfasst sie mehr als 41.000 Tierarten weltweit, die vom Aussterben bedroht sind. Das sind knapp ein Drittel aller der von der Organisation erfassten Arten. Mehrheitlich sind es Amphibien, dicht gefolgt von Haien und Rochen, Säugetieren, Krebstieren, Reptilien und Vögeln. Alle diese Tiere zu klonen, um sie zu retten, ist undenkbar. Einzelne Arten auszuwählen, die es wert sind, geklont zu werden, ist es ebenfalls.

„Klonen ist sehr ineffizient“, gibt Klein ferner zu bedenken. Die Erfolgsquote liege bei 2 bis 3 Prozent. Das heißt: Wenn man 100 genetisch modifizierte Eizellen verpflanzt, entstehen dabei maximal zwei bis drei lebende geklonte Tiere. Diese Erfolgsquote ließe sich nicht übermäßig steigern, erklärt die Genetikerin. Dafür sei das Verfahren zu komplex. Zum Beispiel müsse die Eizelle den zellfremden Zellkern innerhalb von 24 Stunden umprogrammieren. „Das ist, als ob ich bis morgen lernen müsste, einen Düsenjet zu fliegen. Das wird schiefgehen.“

Je exotischer die zu klonenden Tiere sind, desto schwieriger wird es auch, an Eizellen heranzukommen. Häufig werden deshalb nah verwandte Tierarten als Eizellspender ausgewählt – wie bei der Polarwölfin Maya, die sich aus einer Hundeeizelle entwickelt hatte.

Klonen funktioniert nicht bei allen Tierarten

Alle bedrohten Tierarten zu klonen ist auch deshalb nicht möglich, weil sich nicht alle Tiere klonen lassen. „Das Klonen ist eine begrenzte Technologie, die nur mit bestimmten Fortpflanzungssystemen kompatibel ist“, erklärt Ben Novak. Er ist leitender Wissenschaftler bei Revive & Restore – einer Firma aus den USA, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Biodiversität durch die genetische Rettung gefährdeter und ausgestorbener Tiere zu verbessern. Kompatibel sind zurzeit nur Säugetiere, Fische, Amphibien und einige Insektenarten.

Vögel, Reptilien und eierlegende Säugetiere wie Schnabeltiere können nicht mithilfe des somatischen Zellkerntransfers geklont werden. Für sie braucht es andere Verfahren, um vom Aussterben bedrohte Rassen zu konservieren: Statt Eizellen könnten beispielsweise primordiale Keimzellen genutzt werden, erklärt Genetikerin Klein. Das sind Zellen, aus denen sich später bei männlichen Tieren die Spermien und bei weiblichen Tieren die Eizellen entwickeln. Neben den primordialen Keimzellen kann auch einfach Sperma der Tiere eingefroren werden, das sich dann zu beliebiger Zeit verpflanzen lässt. Dieses Verfahren eigne sich auch bei landwirtschaftlichen Nutztieren, so Klein.

Klone haben oft gesundheitliche Probleme

Revive & Restore arbeitet derweil an neuen Technologien, um die genetische Vielfalt von Vögeln zu bewahren. Denn: „Wenn Populationen über eine größere genetische Vielfalt verfügen, sind sie besser in der Lage, mit vom Menschen verursachten Bedrohungen wie exotischen Krankheiten, invasiven Arten und dem Klimawandel umzugehen“, sagt Novak. „Das Klonen ergänzt die etablierten Erhaltungsmethoden und kann mit den richtigen Mitteln ein Rettungsanker sein, um die Zukunft der Zielarten zu sichern.“

Novak hat mit seinem Team beispielsweise schon ein Przewalski-Pferd geklont, ebenso wie ein Schwarzfußfrettchen namens Elizabeth Ann. Am 10. Dezember feiert sie ihren zweiten Geburtstag. „Sie ist ein unglaubliches Tier, das uns gezeigt hat, dass das Klonen zu Erhaltungszwecken sehr vielversprechend ist“, macht Novak deutlich. Ein Gebärmutterleiden macht es ihr jedoch unmöglich, Nachkommen zu zeugen. Das ist keinesfalls untypisch für geklonte Tiere: Nicht selten haben sie Komplikationen, werden krank oder versterben.

Ohne intakte Lebensräume geht es nicht

Für den WWF Deutschland ist das Klonen kein Ausweg aus der Biodiversitätskrise. „Anstatt zu versuchen, die Symptome zu kurieren, müssen wir unsere Kräfte darauf fokussieren, die Ursachen des Artensterbens zu beheben“, macht die Umweltorganisation auf Anfrage deutlich. „Das sind vor allem die Zerstörung der Lebensräume von Tieren und Pflanzen, die Übernutzung der Natur, die Klimakrise und die Umweltverschmutzung. Darauf richten wir unsere Arbeit.“

Ohne intakte Lebensräume ist es ohnehin sinnlos, bedrohte Tierarten zu klonen. Sie würden schnell wieder aussterben, wenn sie keine Nahrung finden, von Krankheiten dahingerottet oder vom Menschen durch Landwirtschaft oder Rodung verdrängt werden.

Biologe Novak sieht deshalb das Klonen als ergänzendes Instrument zu den Erhaltungsmaßnahmen vor Ort. Er stellt jedoch klar: „Die Wiederherstellung von Lebensräumen und Wildtierkorridoren wird die verlorene genetische Vielfalt nicht wiederherstellen.“ Es brauche am Ende beides: Lebensräume und eine genetische Vielfalt. „Um eine Art zu retten, bedarf es vieler Werkzeuge und des jahrzehntelangen Engagements vieler Menschen, um Erfolg zu haben.“

Von Laura Beigel/RND