Immer mehr Kinder erkranken derzeit am Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus oder RSV), einer Atemwegserkrankung, die durchaus so schwerwiegend sein kann, dass ein Aufenthalt im Krankenhaus notwendig wird. Und genau das ist gerade ein massives Problem. Denn bundesweit gibt es laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) kaum noch freie Betten.
RSV ist nicht das eigentliche Problem
Allerdings liegt das weniger an der akuten Welle an Atemwegserkrankungen, die typisch für den Winter ist, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte betont, sondern an einem generellen Problem: dem Personalmangel. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die akute Situation nun entschärfen, indem Personal von den Erwachsenenstationen abgezogen und auf die Kinderstationen verlegt wird. Laut der „Tagesschau“ betrifft das vor allem Pflegekräfte. Aber kann das klappen? Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was hat Lauterbach genau vor?
Sehr konkret wurde Lauterbach bei seiner Ankündigung nicht, und sein Ministerium verwies auch darauf, dass die Länder für die Krankenhausplanung zuständig sind. Die Divi erklärte gegenüber dem RND, dass es durch Lauterbachs Ankündigung nun möglich ist, „Personal von Station A nach Station B schicken zu dürfen, um derzeit im Krisenfall zu helfen“. Das sei normalerweise wegen der Bezahlmodelle nicht ohne Weiteres möglich. „In der Covid-Pandemie wurde dies aber ebenfalls politisch ermöglicht“, so Divi-Sprecherin Nina Meckel.
Wie viel Personal ist nötig, um die Situation zu verbessern?
„Es gibt leider in ganz Deutschland keine verlässlichen Zahlen dafür, wie viele Kräfte fehlen“, erklärte Meckel. Es sei schwer zu sagen, wie viele Patienten es insgesamt tatsächlich gebe oder wie viele Kinder als eigentliche Intensivpatienten auf den Normalstationen lägen. Auch, wie viele Patienten und Patientinnen nach Hause geschickt wurden, obwohl man sie eigentlich gern in der Klinik behalten hätte, lasse sich schwer sagen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärte im Gespräch mit dem RND, letztendlich könne der Einsatz des Personals nur von der jeweiligen Klinik selbst beurteilt werden. Denn die Situation sei je nach Region und Ort sehr unterschiedlich, so Vizevorstandschefin Henriette Neumeyer. „Man kann jetzt nicht am Reißbrett sagen, wie das Ganze funktionieren soll“, sagte sie.
Die Entscheidung müsse vielmehr „der Verantwortlichkeit und der fachlichen Perspektive derjenigen, die vor Ort arbeiten“, überlassen werden. „Damit sie das so gut wie möglich regeln können und nicht woanders Lücken geschaffen werden, die dann auch nicht gefüllt werden können – zum Beispiel in den Erwachsenenstationen“, so Neumeyer. „Insofern ist Eingreifen von der Bundesebene dahingehend, wo das Personal jetzt genau eingesetzt werden soll, absolut unsinnig, weil man das einfach aus der Ferne nicht kann.“
Dürfen Stationen jetzt unterbesetzt arbeiten?
Ja, Gesundheitsminister Lauterbach hat die Krankenkassen gebeten, vorübergehend die Personaluntergrenzen nicht mehr zu überprüfen. Das begrüßte die stellvertretende DKG-Vorstandsvorsitzende Neumeyer grundsätzlich. „Es ist wichtig, Freiräume zu schaffen, damit die Verlegung von Personal im Krisenfall sanktionsfrei geschehen kann“, sagte sie. Der Sicherungsmechanismus der Personaluntergrenzen sei für Normalzeiten geschaffen und da schon unflexibel, so Neumeyer. „Aber sie behindern in solchen Krisenfällen natürlich auch, dass es sinnhaft danach geht, welcher Patient Hilfe braucht.“
Ist das Personal überhaupt geschult genug für Kinderstationen?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einem Bereich in einen anderen zu verlegen, sei eine Herkulesaufgabe, sagte Neumeyer. „Sie in den pflegerischen Prozess einzugliedern darf nicht die Kapazitäten der Pflegekräfte übersteigen, die dort tätig sind“, betonte sie. „Es gibt Krankenhäuser wie zum Beispiel die Charité Berlin, die da schon Superansätze gefunden haben.“
Wichtig sei aber, zu beachten, dass es sich bei der Kinderheilkunde um einen sehr sensiblen Bereich handle, sagte die Vizevorstandschefin der DKG. „Die pädiatrische Intensivmedizin ist nicht ohne Grund ein Hochleistungsbereich mit hohen Anforderungen an die Qualifikation des Personals.“ Deswegen müsse man sehr genau hinschauen, wer dort kurzfristig entlasten kann – mit Blick auf die Persönlichkeit und die Qualifikation, so Neumeyer. „Aber einfach Personal draufwerfen und hoffen, dass es schon hilft: Das ist zu kurz gesprungen.“
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte kritisierte den Einsatz von Personal aus anderen Bereichen deutlich. In einer Pressemitteilung des Verbands heißt es: „Dadurch werden fachfremde Kräfte in Akkordarbeit schwer kranke Frühgeborene, Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche versorgen: ein Desaster!“
Was ist zu tun, um die Situation langfristig zu verbessern?
Die Kinder- und Jugendärzte, die Divi und die Krankenhausgesellschaft sind sich einig: Die Ursache für die kritische Lage der Kinderkliniken und der Kliniken allgemein liegt nicht in der aktuellen RSV-Welle begründet, sondern viel tiefer. „Wir müssen wieder in eine Situation kommen, wo wir Versorgungssicherheit langfristig vorplanen können und auch für die Personalplanung der kommenden Jahre eine Sicherheit herstellen“, so Neumeyer. „Sonst werden wir bei jeder Krankheitswelle – sei es Influenza, sei es Covid, sei es RSV – immer wieder sofort in den Krisenmodus rutschen. Wir müssen jetzt Reserven aufbauen, dass wir wirklich eine konstante, gute Versorgung leisten können.“
Um die Probleme zu lösen, braucht es laut Neumeyer drei Dinge. Die Finanzierungsmechanismen der Krankenhäuser müssten verändert und der Bürokratie- und Dokumentationsaufwand überprüft werden. Außerdem sei entscheidend, dass sehr viele Frauen im Krankenhauswesen arbeiten und diese mehr Unterstützung benötigten, so Neumeyer. „Wir müssen uns auch Fragen stellen, wie wir diese Berufsgruppen entlasten können – durch angemessene Kindertageseinrichtungen, die auch die beruflichen Zeiten gut abdecken. Damit man es möglichst einfach hat, den Anforderungen des Schichtdienstes gerecht zu werden.“
Lauterbach stellt Dienstag Klinikreform vor
Angesichts der akut kritischen Lage der Krankenhäuser im Allgemeinen und der Kinderkliniken im Speziellen wird Lauterbachs Pressekonferenz an diesem Dienstag umso interessanter: Der Gesundheitsminister will seine Reformpläne für den Krankenhausbetrieb in Deutschland vorstellen. Er hatte vor einigen Wochen angekündigt, dass er gleichzeitig Geld sparen und die Pflegekräfte in den Kliniken entlasten will – unter anderem dadurch, dass den Krankenhäusern Tagesbehandlungen gestattet werden.
Von Anna Toelke/RND