Berlin. Was haben Potsdam an der Havel und Scharm el Scheich am Roten Meer im November 2022 gemeinsam? Man kann draußen sitzen, es ist warm genug. Nicht nur in Afrika wird es immer heißer, die vergangenen sieben Jahre waren insgesamt die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Und weil das für eine nahende Katastrophe steht, gilt die am Sonntag eröffnete 27. Weltklimakonferenz in dem ägyptischen Badeort mal wieder als die wichtigste von allen. Als letzte Rettung vor dem Klimawandel. Aber Zweifel sind angebracht, ob die Regierungen von rund 200 Ländern bis zum 18. November ihre so oft gebrochenen Versprechen aus der Vergangenheit einlösen werden. Viel mehr noch: Sie müssen sich selbst übertreffen, wenn die Erde nicht verbrennen soll.
Ägyptens Außenminister Samih Schukri, der diesjährige Präsident der COP (Conference of the Parties), mahnte am Sonntag eindringlich, Lehren zu ziehen aus den zerstörerischen Klimaereignissen in Pakistan mit 1700 Toten und fast acht Millionen vertriebenen Menschen aus ihren Heimatdörfern bei den jüngsten Überschwemmungen, den Dürren in Afrika und Teilen Europas – und anderswo. Nicht zuletzt in Deutschland mit der Jahrtausendflut im Ahrtal im vorigen und einer steigenden Zahl von Waldbränden in diesem Jahr. „Bei Nullsummenspielen wird es keine Gewinner geben“, sagt Schukri. Das ist ganz grundsätzlich auch finanziell gemeint.
Versprechen nie eingehalten
Die reichen Industrieländer sind durch ihre hohe Umwelt- und Luftverschmutzung maßgeblich für die Klimakrise verantwortlich. In Kopenhagen haben sie 2009 der Welt zugesagt, ab 2020 insgesamt 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr an Klimafinanzierung für Projekte im Bereich erneuerbare Energien für Schwellen- und Entwicklungsländer zu zahlen. Dieses Versprechen wurde aber nie eingehalten. Gründe gibt es immer. Zuletzt waren es die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dabei bleibt der Klimawandel die größte Krise für die gesamte Menschheit.
Trotzdem werden zu wenig Anstrengungen unternommen, das 2015 im Pariser Klimaabkommen fest vereinbarte Ziel einzuhalten, die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, möglichst aber 1,5 Grad zu begrenzen. Die weltweiten Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase müssten Forschern zufolge demnach schon bis 2030 um etwa die Hälfte sinken. Nach den gegenwärtig vorgelegten Klimaschutzplänen der Staaten würden sie aber sogar weiter steigen. Bis Ende des Jahrhunderts könnte die Erde laut aktuellem Bericht des UN-Klimasekretariats sogar auf eine Erhitzung von 2,5 Grad zusteuern.
Das sind dramatischen Anzeichen: Das Schmelzen der Gletscher hat sich in diesem Jahr beschleunigt. Das Tempo des Meeresspiegelanstiegs hat sich seit 1993 verdoppelt – der Anstieg in den vergangenen zweieinhalb Jahren macht dabei 10 Prozent des Gesamtanstiegs der vergangenen knapp 30 Jahre aus. Die Konzentration der wichtigsten Treibhausgase – Kohlendioxid (CO₂), Methan (CH₄) und Lachgas (N₂O) – hat im abgelaufenen Kalenderjahr einen neuen Höchststand erreicht.
Der Abgrund
So warnt auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne): „Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu, auf eine Erwärmung von über 2,5 Grad, mit verheerenden Auswirkungen auf unser Leben auf dem einzigen Planeten, den wir haben.“ Die Eindämmung der Erderwärmung müsse höchste Priorität haben. Die Welt habe auch „alle nötigen Instrumente in der Hand, um die Klimakrise zu begrenzen und auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen“. Allerdings: Deutschland ist kaum ein Vorbild. Die Bundesrepublik ist der viertgrößte Verursacher der Treibhausgasemissionen.
In Reaktion auf die Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg werden international derzeit im Rekordtempo fossile Infrastrukturen wie Gasfelder, Pipelines und Flüssiggasterminals genehmigt und gebaut, die in ihrer Betriebsdauer das 1,5-Grad-Ziel unmöglich machen, beklagen Klimaexpertinnen und -experten. In Deutschland wurden außerdem Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen, im Senegal will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Gasförderung unterstützen.
Martin Kaiser, Greenpeace-Chef in Deutschland, beklagt im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), dass Scholz damit Vereinbarungen der Weltklimakonferenz vor einem Jahr in Glasgow breche, weil er „Steuergelder für neue Gasbohrungen“ ausgebe. „Scholz´ Reflex ist es, die große Industrie zu unterstützen, um Arbeitsplätze zu sichern. Das kann es nicht mehr sein. Wir müssen neue Arbeitsplätze schaffen im Bereich der Erneuerbaren.“
Hier seien im letzten Jahrzehnt in Deutschland über 100.00 Arbeitsplätze verloren gegangen. „Wir brauchen auch einen klaren ordnungspolitischen Rahmen der Bundesregierung für die Wirtschaft. Unternehmensvorstände müssten verpflichtet werden, eine Strategie zu verabschieden, wie sie ihren Betrieb auf einen 1,5-Grad-Kurs bringen wollen“, sagt Kaiser. „Gerade fossile Energieunternehmen wie RWE oder Wintershall, die weiterhin größtenteils nicht nachhaltig produzieren, müssen dafür eine Treibhausgasabgabe zahlen.“ Die Ampelkoalition müsse das in dieser Krise umsetzen.
Druck auf die Bundesregierung, den Gipfel zum Erfolg zu führen, machen auch die Umweltverbände. BUND und die Deutsche Umwelthilfe fordern, sie müsse sich in Ägypten für den weltweiten Ausstieg aus Öl und Gas einzusetzen. Scholz reist an diesem Montag zu den Gesprächen der Staats- und Regierungschefs in Scharm el Scheich. In einer etwa vierminütigen Rede am Dienstag will er für seine Idee der Bildung eines Klimaclubs werben. Das ist allerdings – nur – eine Koalition der Willigen.
Die armen Länder
Arme Länder leiden am meisten unter der Klimakrise und können am wenigsten dafür. Beispiel gefällig? Die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, sagt dem RND: „Der Anteil Afrikas an den globalen CO₂-Emissionen liegt bei 3,3 Prozent. Gleichzeitig leiden am Horn von Afrika mehr als 36 Millionen Menschen unter der schlimmsten Dürre seit 40 Jahren. Die Klimakonferenz muss die Ernährungssicherung in den Mittelpunkt stellen und eine verbindliche Finanzierung für Anpassungsprogramme vereinbaren.“
Die mangelnde Ernährungssicherheit verschärft sich aber durch Russlands Krieg und Moskaus Blockaden der Getreidelieferungen aus der Ukraine als Kornkammer der Welt. Die aktuellen geopolitischen Auseinandersetzungen dürften die für Millionen Menschen existentielle Klimakrise nicht in den Hintergrund drängen, mahnt Thieme. „Die Zahl der Hungernden ist weltweit auf bis 828 Millionen Menschen gestiegen und der Klimawandel gehört zu den größten Hungertreibern.“
Thieme verlangt auch ein neues Finanzierungsinstrument für Verluste und Schäden nach Katastrophen, das auch Maßnahmen zur Prävention ermögliche. Und Kaiser warnt: „Wenn wir die Erderwärmung nicht unter 1,5 Grad halten – wie es in Paris 2015 vereinbart wurde – und bis 2050 keine Klimaneutralität herstellen, kommen weltweit Schäden von 1 bis 1,8 Billionen Dollar auf uns zu – pro Jahr.“
Der ägyptische Vorsitz will sich um diese Ziele bemühen, um die Konferenz zum Erfolg zu führen: Die Klimaschutzmaßnahmen verstärken, um die Welt doch noch auf einen 1,5-Grad-Pfad zu führen, Fortschritte bei der Bereitstellung von jährlich 100 Milliarden US-Dollar Klimafinanzierung für vom Klimawandel besonders betroffene Staaten erzielen und die Zusammenarbeit von Regierungen, dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft stärken.
Ägypten und Zivilgesellschaft ist allerdings ein besonderes Thema für dieser Konferenz. Human Rights Watch kritisiert die Menschenrechtslage im Gastgeberland scharf. Vor Beginn des Gipfels wurden mehr als 300 Menschen festgenommen. Vielen werden Kritik und eigene Vorschläge verwehrt.
Der Ausblick
Baerbock, die die internationale Klimapolitik ins Außenministerium verlagert hat, hatte die Erwartungen an die COP 27 Mitte Oktober gedämpft: Es sei „in diesen Zeiten nicht automatisch gegeben, dass es ein Abschlussdokument gibt“. Das würde die düstere Prognose der Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer noch unterbieten. Sie sagt: Bestenfalls werde die COP 27 „keine totale Katastrophe. Die berühmteste Klimaaktivistin, Greta Thunberg, wird dem Gipfel in Scharm el Scheich gleich ganz fernbleiben. Die Klimagipfel seien ein Schauplatz der Mächtigen und „nicht wirklich dazu gedacht, das ganze System zu ändern“, sagt sie.
Zurück nach Potsdam. Hier hat das international renommierte Institut für Klimafolgenforschung seinen Sitz. Einer der beiden Direktoren ist Ottmar Edenhofer. Auch er hat nur geringe Erwartungen an die COP 27: Es gehe darum, „überhaupt wieder eine Vertrauensbeziehung aufzubauen.“ Das sei „fast wie eine Therapiesitzung“. Er warnt schon seit einer halben Ewigkeit davor, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht eingehalten wird. Was dann passiert? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Kipppunkte im Klimasystem der Erde überschritten werden. Das bedeutet: Von da an könnte sich der Klimawandel verselbständigen. Der Mensch wäre dann machtlos, noch etwas dagegen zu tun.
Von Kristina Dunz, Maximilian Arnhold/RND