Der Wüstenstaat Katar verfolgt mit seinen Investments, wie mit denen bei Frankreichs Fußball-Glitzerverein Paris Saint‑Germain, konkrete geopolitische Ziele – und die reichen weit über das viel zitierte Sportswashing hinaus. Eine Analyse zur Strategie des WM‑Gastgeberlandes.
Die Scheichs in Doha sind nicht so geduldig wie unsere Zuschauer.“ Mit diesen Worten hatte Uli Hoeneß im Januar 2018 über ein mögliches Ende der Investitionen von Katar bei Paris Saint‑Germain gesprochen, sollte der französische Fußballklub nicht bald die Champions League gewinnen. Der Satz des damaligen Präsidenten des FC Bayern München, der seinerzeit auf dem Sportbusiness-Treff Spobis fiel, hat sich fast fünf Jahre später nicht bewahrheitet. PSG scheiterte seither einmal im Finale (2020 an Bayern), schaffte es im höchsten europäischen Klubwettbewerb 2021 immerhin ins Halbfinale – und in den anderen Jahren war stets im Achtelfinale Endstation. Ein Ausstieg von Qatar Sports Investments (QSI), durch die dem Wüstenstaat der Klub aus Frankreichs Hauptstadt gehört, war aber nie ein Thema.
Hoeneß verteidigt Katar
Hoeneß hätte es besser wissen müssen: Der FC Bayern kooperiert selbst mit dem Emirat. Die Münchner reisen seit rund einem Jahrzehnt stets nach Katar ins Wintertrainingslager. Nach Abschluss eines Sponsorendeals hatte der deutsche Rekordmeister erst das Logo des Hamad International Airport auf dem Ärmel, mittlerweile wirbt er für die Fluggesellschaft Qatar Airways.
Der Bayern-Ehrenpräsident macht keinen Hehl daraus, wie er über Katar denkt: In der Öffentlichkeit versucht der 70‑Jährige wiederholt, die heftige Kritik am Gastgeber der Weltmeisterschaft wegen des Umgangs mit Gastarbeitenden und der allgemeinen Menschenrechtslage richtigzustellen, so wie jüngst mit seinem Anruf beim Fernsehtalk „Doppelpass“ von Sport 1. Die lange bestehende Kooperation zwischen München und Doha verhinderte aber augenscheinlich nicht, dass Hoeneß danebenlag, als er meinte, die „Scheichs in Doha“ könnten ihr Engagement in Paris nur wegen des ausbleibenden Champions-League-Sieges beenden.
Alles begann 2011. Der staatliche Investmentfonds aus Katar kaufte 70 Prozent von PSG vom damaligen Besitzer Colony Capital. Kostenpunkt: 30 Millionen Euro. Ein Jahr später übernahm QSI die übrigen 30 Prozent des Klubs. Heute ist der französische Meister laut Angaben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG rund 2,1 Milliarden Euro wert.
Auf die Übernahme von QSI folgten die Titel. Zwischen dem Europapokalsieg 1996 und der Meisterschaft 2013 war die Mannschaft ohne große Titel geblieben. Erst als das Geld vom Golfstaat kam, ging es wieder bergauf. Seit 2013 gewann PSG bis auf zwei Ausnahmen (2017 und 2021) jedes Jahr die nationale Meisterschaft.
Keine Grenzen bei Transfers
Möglich machte den Erfolg die nahezu grenzenlose Transferpolitik des neuen Eigentümers. In den vergangenen zehn Jahren kamen Spieler für mehr als 1,2 Milliarden Euro an die Seine. Im Sommer 2012 holte PSG den Schweden Zlatan Ibrahimovic – und damit die erste schillernde Persönlichkeit. Mit der Verpflichtung der damals vereinslosen England-Ikone David Beckham von Januar bis Juni 2013 landete Paris den nächsten Coup.
Die Shoppingtour gipfelte 2017 in der Verpflichtung des Brasilianers Neymar, für den die noch bestehende Rekordsumme von 222 Millionen Euro an den FC Barcelona bezahlt wurde. Es war nicht weniger als ein fundamentales Statement: Wir sind hier, um zu bleiben. Es folgten die Transfers des französischen Überfliegers Kylian Mbappé, der 2018 für 180 Millionen Euro von der AS Monaco nach Paris wechselte, und des alternden Argentiniers Lionel Messi. Für den siebenmaligen Weltfußballer, der im Vorjahr ablösefrei vom FC Barcelona kam, ist ein fürstliches Gehalt von geschätzt 40 Millionen Euro jährlich fällig.
Um zu verstehen, wieso Katar in PSG investiert, ist es allerdings zu kurz gegriffen, nur auf Erfolge, Rendite und Wertsteigerung zu schauen. Titel und Trophäen spielen für jeden Investor fraglos eine Rolle, damit der jeweilige Klub im Rampenlicht steht. Doch allein der Gewinn des Henkelpotts in der Fußball-Königsklasse steht nicht im Fokus der QSI beim Engagement in Paris – und auch nicht vordergründig das rasante wirtschaftliche Wachstum, das es ohne Zweifel gegeben hat.
PSG als „heimliche katarische Nationalmannschaft“
Beckham, Neymar, Mbappé, Messi – die Fähigkeiten dieser Topspieler auf dem Platz sind unumstritten. Sie sollten für Titel und Spektakel sorgen. Doch die Strategie des Wüstenemirats reicht weit darüber hinaus. „Die schillerndsten Persönlichkeiten wurden geholt. Es geht nicht nur um Fußball, sondern um die Marke“, sagt Sebastian Sons dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er ist Islamwissenschaftler und Experte für die Golfregion, zu der er in den vergangenen Jahren intensiv forschte. Sons erklärt: „PSG dient als heimliche katarische Nationalmannschaft. Der Klub ist ein Produkt, das die Ziele und Ambitionen des Landes unterstreichen soll.“
Bei der am Sonntag beginnenden Weltmeisterschaft gehören elf Spieler von PSG zu den Kadern von insgesamt sieben Nationen. „Mbappé, Messi oder Neymar könnten in Katar Weltmeister werden – das wäre wie ein Heimsieg“, sagt Sons.
Der Einstieg von QSI beim Pariser Klub im Jahr 2011 stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der WM. Im Fokus steht dabei ein Mittagessen, zu dem der frühere französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy am 23. November 2010 im Élysée-Palast eingeladen hatte. Mit am Tisch saßen unter anderem Tamim bin Hamad Al Thani, damals Kronprinz und heute Emir von Katar, der Premier- und Außenminister des Golfstaats, Hamad bin Jassim Al Thani, sowie Michel Platini, zu diesem Zeitpunkt Chef der Uefa. Wenige Tage später bekam Katar den Zuschlag für das Turnier – und einige Monate darauf investierte der katarische Staatsfonds in PSG.
Investition als Teil der Strategie
Sportswashing, also der Versuch, mit Investitionen in Klubs und dem Erwerb einer Großveranstaltung von Missständen im eigenen Land abzulenken, um sein Image aufzupolieren, spielt stets mit. Doch der Hintergrund der Strategie Katars ist noch ein anderer. „Es gibt eine klare Verbindung zwischen der Investition in den Fußball und den geopolitischen Zielen Katars“, sagt Islamwissenschaftler Sons. Als kleines Land, flächenmäßig in etwa vergleichbar mit Schleswig-Holstein, ist die Übermacht von Nachbar Saudi-Arabien oder dem nahen Iran stets eine Bedrohung.
Die strategischen Vorteile einer internationalen Zusammenarbeit mit europäischen Staaten wie Frankreich sind für Katar daher bedeutend. Es geht um Sicherheitspolitik: Ein Einmarsch wie der des Iraks unter Saddam Hussein in Kuwait soll erst gar nicht möglich sein, indem Katar als wichtiger wirtschaftlicher Partner sowie durch vielseitiges kulturelles und sportliches Engagement mehr als nur ein kleiner Punkt auf der Weltkarte ist.
Marke PSG hat sich etabliert
Das ist fraglos gelungen. Nun stellt sich die Frage: Wie geht es weiter, wenn das Turnier gespielt ist? „Beckham und Neymar sind als Gesichter für die WM geholt worden“, betont Sons. Jeder Fan, der in Doha landet, sieht das. Die (Ex-)Superstars grinsen von zahlreichen Plakaten, schon am Flughafen sind sie unübersehbar. In den vergangenen zwölf Jahren gab es keinen Champions-League-Titel für PSG, aber „die Marke hat sich etabliert“, macht Sons deutlich: „Die Fluglinie Qatar Airways ist bekannter geworden, das Land ist bekannter geworden. Der französische Markt ist wirtschaftlich und militärisch eng mit Katar verbunden. Es stellt sich die Frage: Braucht Katar PSG noch, und wenn ja wofür?“
Die Antwort auf die Frage der zukünftigen Investition ist unklar. Fest steht: Der Wüstenstaat hält auch Anteile an anderen europäischen Klubs – etwa bei KAS Eupen in Belgien und seit Oktober 2022 beim portugiesischen Traditionsverein Sporting Braga. In einer Mitteilung begrüßte Braga „mit Begeisterung die Aufnahme von QSI in seine Aktionärsstruktur“. Anders als bei PSG, wo der mächtige Präsident Nasser Al-Khelaifi an der Spitze steht, soll es dort derweil „keine Änderung in der Vereinsführung“ geben.
Abu Dhabi im Fußball größter Konkurrent Katars
Der größte Konkurrent Katars auf dem Fußballfeld ist Abu Dhabi. Das Emirat besitzt über die City Football Group (CFG) unter anderem den amtierenden englischen Meister Manchester City. Außerdem kaufte sich der Staatsfonds des katarischen Nachbarn Saudi-Arabien im vergangenen Jahr bei Newcastle United ein. Dieser Umstand legt nahe, dass sich der WM‑Gastgeber kaum aus dem Konzert der Öl- und Gasmilliardäre zurückziehen möchte, die seit Jahren in den Fußball investieren.
Wenige Wochen nach Turnierende treffen der FC Bayern und PSG – wie im Finale vor zwei Jahren – im Achtelfinale der Champions League aufeinander. Der deutsche Serienmeister kann also dafür sorgen, dass für das französische Starensemble erneut vorzeitig Schluss ist auf der großen Bühne. Einen unmittelbaren Einfluss auf das im kommenden Sommer auslaufende Sponsoring von Qatar Airways, das den Münchnern rund 25 Millionen Euro im Jahr einbringen soll, wird das direkte Duell kaum haben.
Leon Goretzka, die stärkste politische Stimme unter den Fußballprofis, sagte jüngst in der ZDF‑Dokumentation „Geheimsache Katar“ von RND‑Kolumnist Jochen Breyer: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Verein im Sinne des Klubs und der Mitglieder handeln wird.“ Der 27 Jahre alte Mittelfeldspieler der Bayern fügte an, dass er „persönlich nichts dagegen hätte“, wenn die Kooperation endet.
Von Roman Gerth/RND