„Menschen mit Brain Fog fühlen sich, als hätten sie sich selbst verloren“ – landeszeitung.de

Frau Brennan, wie fühlt sich Brain Fog an?

Von Brain Fog sind verschiedene und mehrere kognitive Bereiche betroffen. Je nachdem welche das sind, fühlt sich das unterschiedlich an. Aber ein guter Vergleich für jemanden, der noch nie von Brain Fog betroffen war, ist Jetlag. Wer Jetlag hat, fühlt sich träge, geistig erschöpft und kann nicht so schnell denken, wie normalerweise. Viele Menschen mit Brain Fog sind zudem auch physisch erschöpft.

Brain Fog ist aber keine Krankheit, oder?

Sie können es mit einem anhaltenden Husten vergleichen: Das ist keine Krankheit und auch keine Diagnose, sondern ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Ein Husten kann zum Beispiel ein Asthmasymptom sein. Brain Fog ist dagegen ein Hinweis darauf, dass das Gehirn nicht richtig funktioniert. Er steht im Zusammenhang mit verschiedenen Krankheiten wie etwa hormonellen Ungleichgewichten, Ernährungsdefiziten oder auch zahlreichen sogenannten Lifestylefaktoren. Dazu gehört dann zum Beispiel schlechter Schlaf, chronischer Stress, mangelnde Bewegung oder zu wenig mentale Stimulation.

Sie selbst litten lange auch unter Brain Fog. Wie haben Sie das bemerkt?

Ich bin eigentlich für mein scharfes Gedächtnis bekannt. Ich war früher Schauspielerin und als ich an die Universität gegangen bin, hatte ich überhaupt gar kein Problem mit Prüfungen, weil ich einfach vorher Essays auswendig lernte. Während meiner Promotion war ich dann einem extremen Stress ausgesetzt, ich fühlte mich krank, hatte Schmerzen und merkte, dass ich mich nicht mehr so gut an Dinge erinnern konnte wie früher. Erst dachte ich: „Gut du bist 42, du bist gestresst, da ist es normal, dass man mal etwas vergisst.“ Es dauerte bis ich verstand, dass meine kognitive Funktion beeinträchtigt war.

Brain Fog lässt sich minimieren

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich hatte das Gefühl, ich verliere den Boden unter den Füßen. Dass ich nicht mehr die Person bin, die ich eigentlich kenne. Das sagen übrigens viele Menschen, die Brain Fog haben: Sie fühlen sich, als hätten sie sich selbst verloren. Ich war immer sehr stolz auf mein gutes Gedächtnis – und plötzlich war es weg. Ich wollte nicht, dass irgendjemand das erfährt, schließlich hatte ich ein Stipendium für meine Doktorarbeit erhalten. Mit meinem Buch will ich den Menschen auch damit helfen: Denn wenn man versteht, was im Gehirn passiert, nimmt das viele Ängste. Manche Frauen, die in der Menopause an Brain Fog leiden, glauben zum Beispiel, sie werden dement.

Was war der Auslöser für Ihren Brain Fog?

Wie gesagt, ich arbeitete an meiner Promotion. Dazu hatte ich noch die Arbeit von jemand anderem übernommen, der erst später in unser Projekt einstieg. Ich musste mich um meine Teenager kümmern, um mein Zuhause. Ich arbeitete also viel nachts und schlief wenig. Ich aß auch nicht richtig und ich machte nicht mehr Sport wie früher. Dazu litt ich unter einer Autoimmunkrankheit, die mit großen Schmerzen einhergeht – und auch das kann zu Brain Fog beitragen.

Sie leiden nicht mehr unter Brain Fog, wie haben Sie das geschafft?

Ich bekomme immer noch hin und wieder Brain Fog. Aber selbst wenn die Ursache eine zugrundeliegende Krankheit ist, lässt sich das Ausmaß von Brain Fog minimieren. Etwa in dem man sich um Ernährung, Schlaf, Sport kümmert. Die Gesundheit ihres Gehirns sollte eigentlich für alle Menschen eine Priorität sein, nicht nur für Menschen mit Brain Fog. Wir putzen unsere Zähne zwei Mal täglich, weil wir sie zum Essen und zum Sprechen brauchen. Aber unser Gehirn brauchen wir für alles.

Gehirngesundheit spielt wichtige Rolle

Sie sprechen von „minimieren“. Brain Fog kann man aber nicht eliminieren, oder?

Wir können kognitive Reserven aufbauen. Durch einen gehirngesunden Lebensstil können Sie sich die Neuroplastizität des Gehirns zu nutze machen. Wenn Sie zum Beispiel etwas Neues lernen, dann wachsen im Gehirn Neuronen, neue Verbindungen. Das erlaubt Ihrem Gehirn, mit Herausforderungen klarzukommen – ob das nun Verletzungen, Krankheiten oder das Altern ist. Ab einem Alter von etwa 30 Jahren beginnt unser Gehirn durch den Verlust an Zellen und Verbindungen zu schrumpfen. Lange dachte man, dass man nichts dagegen tun könne, das hänge eben mit dem Alter zusammen. Nun zeigt uns die Forschung: Man kann sein Gehirnvolumen erhalten, wenn man einen entsprechenden Lebensstil pflegt. Das hat sogar Auswirkungen auf Krankheiten wie Alzheimer.

Aber was heißt das für jemanden, der seit Monaten unter Long Covid leidet? Reicht es da wirklich einfach, seinen Lebensstil umzustellen?

Im Falle von Long Covid wird man das sehen müssen. Aber Covid ist nicht die erste Infektion, die mit Brain Fog in Verbindung gebracht wird. Dazu gehören zum Beispiel auch zahlreiche Autoimmunkrankheiten wie Lupus oder Multiple Sklerose. Eine Theorie zur Entstehung von Brain Fog lautet, dass er durch eine sehr starke Immunreaktion ausgelöst wird. Das gleiche könnte also auch bei Long Covid der Fall sein. Im Fall der Autoimmunkrankheiten haben viele Menschen dann zum Beispiel Schlafstörungen. Das sind also Lifestylefaktoren, die man adressieren kann – und bei denen man mit Sicherheit weiß, dass sie sich auf die Kognition auswirken. Das heißt nicht, dass Menschen keinen Brain Fog mehr erleben, dass sie keine Schübe mehr erleben, aber sie haben dazwischen Klarheit.

Wie kommt es zu diesen Schüben?

Oft haben die Menschen diese Faktoren vernachlässig. Viele Menschen mit Brain Fog oder auch Long Covid folgen einem bestimmten Muster. Sie haben schlechte und gute Tage. An den Tagen, an denen es ihnen gut geht, versuchen sie dann alles zu machen. Was wiederum zu viel wird und sie überanstrengt.

Von Anna Schughart/RND