Zwei russische Raketen-Irrläufer sind Berichten zufolge am Dienstag in der polnischen Ortschaft Przewodów an der Grenze zur Ukraine eingeschlagen und haben zwei Menschen getötet. Ein hochrangiger US-Geheimdienstvertreter bestätigte den Vorfall der Nachrichtenagentur AP. Russische Raketen seien über die Grenze zum Nato-Mitgliedsland Polen geflogen, es habe zwei Tote gegeben, hieß es.
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Polen versetzte am Abend einen Teil seiner Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft. Dies gelte auch für andere uniformierte Dienste, sagte ein Regierungssprecher in Warschau. Er sagte auch, dass Polen beschlossen habe zu prüfen, ob es Gründe gebe, die Verfahren nach Artikel 4 des Nordatlantikvertrags einzuleiten. Artikel 4 sieht Beratungen der Nato-Staaten vor, wenn einer von ihnen die Unversehrtheit seines Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht. Zuvor hatte die Regierung in Warschau eine Sitzung des nationalen Sicherheitsrates und später auch eine Kabinettssitzung einberufen.
Moskau nennt Berichte über Raketeneinschlag in Polen „Provokation“
Am Abend sprach Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda mit US-Präsident Joe Biden und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Selenskyj schrieb den Zwischenfall eindeutig Moskau zu. „Dies ist ein russischer Raketenangriff auf die kollektive Sicherheit! Dies ist eine sehr bedeutende Eskalation“, sagte er. „Wir müssen handeln.“
Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach am Abend mit Duda. Die Nato beobachte die Situation, die Verbündeten berieten sich eng, teilte er nach dem Austausch über Twitter mit. Es sei wichtig, dass Fakten gesichert seien, so der Norweger.
Das Weiße Haus arbeitet nach eigenen Angaben mit der polnischen Regierung zusammen, um mehr Informationen über die Ereignisse an der Grenze zur Ukraine zu bekommen. Aktuell könne man keine Berichte oder Details bestätigen, teilte der Nationale Sicherheitsrat der USA mit.
Das Verteidigungsministerium in Moskau wies die Berichte über den angeblichen Einschlag in Polen dagegen als „gezielte Provokation“ zurück. Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden, teilte das Ministerium mit. Auch die in polnischen Medien verbreiteten Fotos angeblicher Trümmerteile hätten nichts mit russischen Waffensystemen zu tun, hieß es weiter.
Fotos sollen Einschlagstelle zeigen
Am frühen Abend hatte der polnische Sender Radio ZET unter Berufung auf inoffizielle Quellen berichtet, die beiden Raketen hätten eine Anlage zum Trocknen von Getreide getroffen, zwei Menschen seien gestorben. Polizei, Staatsanwaltschaft und Armee seien vor Ort. Die Feuerwehr bestätigte, dass in Przewodow bei einer Explosion auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zwei Menschen ums Leben kamen. Die Ursache für die Explosion sei noch ungeklärt, sagte ein Sprecher der Feuerwehr in Hrubieszow.
In sozialen Medien veröffentlichte Fotos sollen die Einschlagsstelle zeigen. Darauf ist ein großer Krater zu sehen und ein Treckeranhänger, der umgekippt ist.
Es wäre der erste derartige Vorfall in dem seit fast neun Monaten dauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Polen ist Mitglied der EU und des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato.
Der polnische Regierungssprecher Müller warnte allerdings davor, ungeprüfte Informationen zu verbreiten. Alle Informationen aus dem Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung der polnischen Regierung sollten später auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kündigte er laut der Nachrichtenagentur PAP an.
Baerbock: „Wir beobachten die Situation genau“
Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrat der USA, Adrienne Watson, teilte mit, man habe die Berichte aus Polen gesehen und arbeiten mit der polnischen Regierung zusammen, um weitere Informationen zu sammeln. „Wir können die Berichte oder Einzelheiten derzeit nicht bestätigen. Wir werden feststellen, was passiert ist und was die angemessenen nächsten Schritte wären“, schrieb sie bei Twitter.
Außenministerin Annalena Baerbock schrieb bei Twitter, ihre Gedanken seien beim deutschen Nachbarn und Verbündeten Polen: „Wir beobachten die Situation genau und stehen mit unseren polnischen Freunden und Nato-Verbündeten in Kontakt.“
Russland hatte am Dienstag mit über 90 Raketen und Marschflugkörpern das Energiesystem der Ukraine angegriffen und schwere Schäden verursacht. Es war ukrainischen Militärangaben zufolge der bislang massivste Angriff auf die Infrastruktur seit Kriegsbeginn vor gut acht Monaten.
Unter anderem wurde Lwiw im Westen des Landes getroffen, das rund 50 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt.
RND/seb/AP/dpa