Tick, Tack. Tick, Tack. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, im Wartezimmer zu sitzen. Die Augen schweifen wiederholt durch den Raum. Nichts los, und trotzdem sitzt man bereits seit einer halben Stunde auf diesem Stuhl – und wartet. Doch ein Blick auf die Uhr verrät: Es sind tatsächlich erst fünf Minuten vergangen.
Ganz anders sieht es bei einem Wochenendtrip in die Großstadt aus. Hier ein Besuch im Museum, da ein Stück Kuchen im Café und ganz viel Sightseeing. Und schon befindet man sich bereits wieder auf dem Rückweg in die Heimat. Zurück im Zuhause angekommen, fühlt es sich an, als wäre der Reisebeginn schon eine Woche her gewesen – und nicht zwei Tage.
Ereignisdichte beeinflusst Zeitgefühl
Wieso vergeht die Zeit manchmal so unterschiedlich? Die Antwort sei ganz einfach, sagt Till Roenneberg, Chronobiologe am Münchener Institut für Medizinische Psychologie. „Weil wir keine Zeit wahrnehmen.“ Das Gehirn verarbeite nur neue und wichtige Ereignisse. Die Dichte dieser Erlebnisse nutze es dann, um einen Zeitraum abzuschätzen. „Je dichter die Ereignismenge ist, desto schneller vergeht die Zeit, während ich sie erlebe.“ Und desto länger erlebe das Gehirn wiederum denselben Zeitraum in der Rückschau. Der Grund: „In diesem Zeitraum ist so viel passiert, dass es in unserer Vorstellung ganz viele Tage gewesen sein müssen“, sagt Roenneberg.
Im Wartezimmer sei die Ereignisdichte hingegen meist sehr niedrig. Die Zeit vergeht also langsam. Da also auch rückblickend kaum etwas in dieser Wartezeit passiert ist, kann das Gehirn diesen Zeitraum teilweise nicht einmal speichern. „Deshalb kann man sich an diese langweiligen Stunden häufig nicht mehr erinnern“, sagt der Biologe.
Gehirn kann keine Zeit messen
Dass das Gehirn keine Zeit messen kann – also nicht genau sagen kann, wann etwa fünf Minuten vergangen sind –, liege in der Natur. Das Gehirn habe schlicht keinen Grund dafür, erklärt Roenneberg. „Es gibt überhaupt keine biologische Erklärung oder Notwendigkeit dafür, lineare Zeit zu messen.“ Lineare Zeitmessung brauche das Gehirn nur, um unsere Wahrnehmung und Bewegungsabläufe zu koordinieren. Das sei aber eher im Millisekundenbereich der Fall.
Wichtiger für die Lebewesen sei dagegen das Messen der zyklischen Zeit, die durch die Rotation der Erde um sich selbst und um die Sonne vorgegeben wird. So verlaufen beispielsweise Tag und Nacht oder auch die Jahreszeiten in Zyklen. Diese geben dann etwa vor, wann es morgens Zeit ist aufzustehen oder wann ein Igel Winterschlaf machen sollte. Das theoretische Konzept von einer Stunde oder einer Minute sei für die Natur dagegen völlig irrelevant, sagt Roenneberg.
Raus aus der Komfortzone
Die Art und Weise, wie wir Zeit verarbeiten, hat einen starken Einfluss auf unsere Lebensqualität. Denn wer täglich über Jahre den gleichen Alltag pflegt, konfrontiert sein Gehirn mit kaum neuen Ereignissen. „Der Alltag eines Büromenschen wird also immer langweiliger, je besser er ihn im Griff hat, weil dieser zur Routine wird“, sagt Roenneberg. Im Rentenalter, wenn es nicht einmal mehr nötig wird, täglich das Haus zu verlassen, werde dieser Effekt noch stärker. Ein einziger Tag scheine kaum zu vergehen. „Aber an jedem Weihnachten habe ich dann das Gefühl, dass es gerade erst Ostern war.“ Das bedeutet in diesem Fall auch: Das gesamte Leben kann sich rückblickend kurz anfühlen – und vieles lässt sich im schlimmsten Fall nicht einmal mehr erinnern.
In der Kindheit ist dagegen oft das Gegenteil der Fall: „Als Kind haben wir eine Dichte von wichtigen Ereignissen“, sagt er. Diese Zeit erinnern wir also oftmals als länger und spannender als andere gleich lange Zeiträume aus der Vergangenheit.
Daraus lässt sich vor allem eines ableiten: Ein Mensch muss sich regelmäßig aus seiner Komfortzone sowie dem Trott des Alltags wagen und sich immer wieder neuen Erlebnissen stellen, um ein – zumindest gefühlt – langes, ereignisreiches und erinnerungswürdiges Leben zu führen.
Von Melina Runde/RND