„Ich war das!“ Der Supermarktangestellte Peter (Ludger Bökelmann) – Achtung hier gibt‘s Spoiler im Sonderangebot! – erklärt den Kolleginnen in seiner Filiale nicht ohne einen gewissen Künstlerstolz, dass er die ganzen hässlichen Beutelpenisse an die Toilettentüren gekritzelt hat. Auf Verlangen der Kolleginnen filzt er flink noch eine Vagina darunter – das sei für einen erwiesenen Feministen wie ihn gar kein Problem.
Freilich sieht die Edding-Vagina aus wie ein „O“ nach einer qualvollen Zeit auf der Buchstabenstreckbank. Als Peter sich auch noch an einem Cunnilingus an der Klotür versucht, bringt ihm das seitens der kessen Kassiererin Flora den Spottnamen „Arschlecker“ ein. Der junge Samy (David Ali Rashed), zunehmend verzweifelte Immer-noch-Jungfrau, zeichnet noch korrekt eine Klitoris ein, weil er das so im Anatomielexikon gesehen hat.
Lokalderby HSV – St. Pauli – alles selbstverständlich während der Arbeitszeit
Fertig ist das Mondgesicht. Filialleiter Thorsten ist das alles egal – er hat heute sowieso nur das Lokalderby im Kopf. HSV gegen Pauli – auf Großbildschirm im Pausenraum. Alles während der Arbeitszeit, wieso auch nicht, die Mädels werden den Laden schon schmeißen.
Zweite Runde im Chaos der Kolinski-Filiale von Thorsten Krause (Marc Hosemann), dem Supermarkt des Schreckens in Hamburg-Altona. Die von Christian Ulmens und Carsten Kleibers Pyjama Pictures produzierte Comedy erwies sich vom Start weg als Hit für den Streamingdienst Amazon Prime Video und verweilte lange in dessen Top Ten. Über „doof, aber herzlich“ war schon immer gut lachen.
Die Autoren treten das Klischeepedal voll durch
Die Fortsetzung ist vorwiegend mehr vom selben, dabei weiterhin so brüllend komisch, dass man die 25-Minuten-Episödchen in bester Laune wegbingt – außer vielleicht man ist selbst in einem solchen Etablissement tätig, und sieht durch die Serie sich und die eigene Zunft der Lächerlichkeit preisgegeben.
Natürlich übertreiben die Autoren, treten das Klischeepedal volle Lotte durch. Warum soll es den Einzelhandelskaufleuten in „Die Discounter“ besser gehen als den Bürokaufleuten in „Stromberg“. Authentizität? Nö, Comedy. Jeder Supermarkt, in dem es so zuginge, wäre nach acht Wochen pleite.
Jonas will das Image des Security-Losers loswerden
Alle hier sind drauf wie zuvor, nur der schwule Schussel Jonas (Merlin Sandmeyer) kehrt anders aus dem Urlaub zurück. Mit Muckis, Kung-Fu-Faxen, prolligen Actionklamotten und einem schnittigen Enduro-Bike will er das Image des glücklosen Securitychefs, der nie einen Ladendieb zu fassen bekommt (auch weil die Ladengeschehnisse – wie sich herausstellt – mit 20 Minuten Verspätung auf seinen Bildschirm übertragen werden) endlich überwinden.
Während Jonas den Kollegen Titus (Co-Autor Bruno Alexander) für einen Kühlauftrag in eine konkurrierende Filiale begleitet und erste Risse in seiner neuen Coolnessfassade sichtbar werden, testet Chef Thorsten allerdings heimlich mögliche Nachfolger für ihn. Er will einen richtigen Sicherheitsmann. Die Bewerbungsgespräche sind zum Fremdschämen. Der Typ, der das Rennen macht, ist ein Attraktivo von Schwarzenegger-Statur.
Genau der Richtige? Kebo ist ein formvollendeter Gentleman, erzählt jedem, um wieviel Lohn pro Monat der Chef sie betuppt, spricht sogar die Genderpause und weckt das Feministische in den Kassiererinnen. Thorsten muss ihn loswerden.
Horrortrip – Peter glaubt, Marihuana hab ihn unsichtbar gemacht
Da schauen Halbgangster in den Laden, die bei Thorsten ihren Billigwein unterstellen („Heute Abend sind wir wieder da, dann sind 100 Flaschen weggegangen“). Da ist die ewig ungehaltene Chefin Sabine, die Thorsten mit Umsatzforderungen die Pistole auf die Brust setzt.
Und da sind Angestellte wie die Träumerin Lia (Marie Bloching), die sich eine Farm kaufen will und erstmal ein Huhn bekommt, Flora (Nura Habib Omer), die im Lager Cannabis zieht, Pina (Klara Lange), die das Cannabis nicht verträgt und Großmaul Peter, der tatsächlich glaubt, das „Gras“ habe ihn unsichtbar gemacht. Wobei er einem Trick von Titus aufsitzt, dem Abiturienten, der zwar bald studieren möchte, aber noch nicht gleich, weil ihm die Kolleginnen und Kollegen bei Kolinski viel zu lieb geworden sind.
In der Not sind die Knallköpfe des Konsums füreinander da
Um die Liebe geht es auch. Alle hier sind irgendwie verliebt und helfen einander bei der Liebe, wie sie einander auch sonst beistehen. Auch zwischen dem Faktotum Wilhelm (Wolfgang Michael) und der Kassenseniorin Ellie Jensen (die großartige Doris Kunstmann) werden Bande geknüpft, die über Sympathie hinausgehen. Weil sie so liebenswert sind und so schutzbedürftig in den Blößen, die sie sich geben, hatte man diese Truppe schon nach drei Folgen der ersten Staffel in sein aufnahmefreudiges Zuschauerherz geschlossen.
Wer zu kurz kommt, ist der frühere König Kunde. Den gibt es nur am Rande. Er schraubt mal kurz ein Milchtetra auf um zu schnuppern, ob der Inhalt noch frisch ist oder benutzt einen Deoroller, um sich kurz frischzumachen und stellt ihn danach wieder ins Regal. Manchmal ist er nicht Täter sondern Opfer – wenn Flora und Pia ihn erschrecken, indem sie auf der dunklen Seite der Flaschenannahme stehen und ihm das Plastik aus dem Automaten wieder zurückwerfen. Ein Kindergarten des Konsums, ein Spielplatz für angestellte Spaßvögel.
Einen Namen hat unter denen, die bei Kolinski einkaufen, nur der Gaststar in der vierten Folge der dem niederländischen Original „Vakkenfullers“ nachempfundenen Serie (vier der zehn Episoden der zweiten Staffel wurden zur Sichtung gewährt). Mats Hummels, Verteidiger bei Bayern München und Borussia Dortmund, schaut vorbei. Im Nu sind HSV, St. Pauli, Chips und Bier vergessen. Alle kicken frohgemut auf dem Parkplatz, ein umgekippter Einkaufswagen muss als Tor herhalten. Wer sich jetzt sicher ist, dass ein Starkicker so etwas niemals machen würde, und dass das hier alles vollkommen unrealistisch ist, der hat‘s begriffen. Muchos spassos!
„Die Discounter“, zweite Staffel, zehn Episoden, von Bruno Alexander, Oskar und Emil Belton, mit Marc Hosemann, Nura Habib Omer, Klara Lange, Marie Bloching, Merlin Sandmeyer, Bruno Alexander, Ludger Bökelmann, Doris Kunstmann, Wolfgang Michael, David Ali Rashed (ab 11. November bei Amazon Prime Video)
Von Matthias Halbig/RND