Frankfurt am Main. Kaum zu glauben. Die Deutsche Bahn kommt ausnahmsweise zu früh. Gut eine Woche eher als geplant absolvierte der neue ICE3 Neo am Montag seine erste Fahrt mit Passagieren. Von Frankfurt nach Köln. Mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember nimmt der Neue den regulären Betrieb auf – im Hochgeschwindigkeitstempo von maximal 320 Stundenkilometer.
„Heute ist ein kleiner Festtag, weil es ein neues Fahrzeug gibt, das schnell ist und auf den schnellen Strecken fahren kann. Der Zug könne zwar nicht überall 300 Stundenkilometer erreichen. Es gebe aber einzelne Abschnitte, wo Schnelligkeit gefragt sei, um die Anschlüsse zu erreichen. Das ist auch für den geplanten Deutschlandtakt wichtig“, sagte Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Im tristen Grau des Frankfurter Hauptbahnhofs stand der erste Neo am Montagmorgen auf Gleis 19: strahlend weiß, beinahe blinkend. Michael Peter, Chef von Siemens Mobility, ließ sich dazu hinreißen, den DB-Zug als ein „Schmuckstück Deutschlands“ zu bezeichnen. Die Ingenieure der Eisenbahnsparte des Münchner Konzerns haben ihn auf Basis der bewährten Schienenfahrzeug-Plattform Velaro konstruiert. Das machte es möglich, das neue Modell, das bessere Technik und mehr Komfort bieten soll, in nur zweieinhalb Jahren aufs Gleis zu stellen.
„Cleverer Schachzug“
„Es war ein cleverer Schachzug, dass eine vorhandene Plattform getunt worden ist“, sagt Naumann. „Bei einer komplett neuen Plattform wäre die Entwicklungszeit doppelt so lang gewesen.“ Siemens-Manager Peter und Michael Peterson, DB-Vorstand Personenverkehr, lobten sich denn auch gegenseitig für die zügige Fertigung des Fahrzeugs, das im Sommer 2020 bestellt wurde.
Er könnte sogar mit bis zu 400 Sachen über die Schienen rasen. Aber hierzulande sind nur gut 300 km/h erlaubt. Außerdem werden die superschnellen Geschwindigkeiten rasch unwirtschaftlich, da jenseits der 300 der Energieverbrauch exponentiell steigt und der Nutzen für das Verkehrssystem schwindet.
Zunächst ist der Zug nur auf der Strecke zwischen Dortmund, Köln und Frankfurt und bis nach München unterwegs, und zwar über den neuen 60 Kilometer langen Schnellfahrabschnitt Wendlingen-Ulm, der mit dem Fahrplanwechsel schon in Betrieb genommen wird. Eigentlich gehört er aber zum längst noch nicht abgeschlossenen Stuttgart21-Projekt.
Neumann sieht indes schon zusätzliche Perspektiven: „So kann der Zug auch als Sprinter zwischen Berlin und München fahren. Auf dieser Strecke gibt es eine extrem große Nachfrage. Die höhere Geschwindigkeit des ICE3 Neo ermöglicht, dass Züge zwischen beiden Städten künftig häufiger fahren können.“ Ähnliches gelte zwischen Köln und Frankfurt. „Und die Bahnstrecke wird als Zubringer für Passagiere, die aus dem Rheinland zum Frankfurter Flughafen wollen, attraktiver“, sagte Naumann dem RND.
Michael Theurer (FDP), parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, betonte in seinem Statement auf dem Bahnsteig von Gleis 19, dass der Zug auch eine grenzüberschreitende Funktion haben werde. Seine Stromversorgung tauge für die vier in Europa gängigen Systeme. Deshalb habe er das Zeug dazu, ein Nachfolger des legendären Trans-Europa-Express (TEE) zu werden. Geplant ist, den ICE3 Neo von 2024 an auf Verbindungen in die Niederlande und nach Belgien einzusetzen.
Mehr Platz für Familien und Behinderte
Für die Fahrgäste soll der Neue mehr Annehmlichkeiten bringen. Dafür sei es notwendig gewesen, „das Innere auf links zu drehen“, so DB-Projektleiter Stefan Ventoruzzo. Es musste Platz geschaffen werden für großzügigere Familienabteile, die möglicherweise zukünftig auch wie richtige mobile Büros genutzt werden können. Dazu gehört dann auch ein besserer Mobilfunkempfang, der durch spezielle Fenster erreicht werden soll, die Funksignale großzügig durchlassen. Platz wird auch für acht Fahrradplätze benötigt, die im neuen ICE obligatorisch sind. Viel wurde für eine größere Barrierefreiheit von Rollstuhlfahrern getan.
Der Neo hat überdies eine Spezialtür für Rollis mit einem neu konstruierten Hublift, der künftig vom Personal im Zug bedient wird. Mit dieser Lösung würden unter anderem Staus beim Einsteigen vermieden, hofft Naumann.
Und an vielen Details wurde getüftelt: Von neuen Leuchten im Speisewagen bis zu den dortigen Sitzen, die jetzt in Burgunderrot gehalten sind, was Eleganz ausstrahlen soll. Als eine zusätzliche Wohlfühlkomponente lässt sich die Beleuchtung an die Tageszeit und das natürliche Licht draußen anpassen, so wie in Flugzeugen. Purer Funktionalität sind die zahlreichen Bildschirme geschuldet, die größer und schwarz-weiß sind. Freie Plätze lassen sich leichter finden, da kleine LED-Lichter an der Kabinenwand signalisieren, welche Sitze reserviert sind. Schon im Vorfeld war viel davon zu hören, dass künftig die Fahrgäste ihre Lieblingsfilme auf ihrem Tablet-Rechner gucken können, der an der Rücklehne des Sitzes davor eingeklemmt werden kann.
Notorisch unpünktlich
73 Exemplare vom Facelift des ICE3 hat die Deutsche Bahn bei Siemens bestellt. Sie sollen bis 2029 ausgeliefert werden und die Kapazität im Fernverkehr um 32.000 Sitzplätze erhöhen – zum Zwecke, das geplante Fahrgastwachstum (eine Verdoppelung in den nächsten acht Jahren) bewältigen zu können.
Jetzt muss noch die Pünktlichkeit der Züge gesteigert werden. Doch gerade erst hat Bahnchef Richard Lutz in einem Interview mit dem Tagesspiegel eingeräumt, dass das selbst gesteckte Pünktlichkeitsziel von 80 Prozent in diesem Jahr nicht erreicht wird. Nur 70 Prozent seien machbar. Mehr sei auch im nächsten Jahr nicht drin. Die Passagiere des Neo dürften dies auch zu spüren bekommen. Peterson räumte auf dem Bahnsteig an Gleis 19 denn auch ein, dass es „um die Verlässlichkeit nicht allzu gut bestellt ist“. Wegen des Ausbaus der Schieneninfrastruktur, der dringend notwendig sei, um künftig verlässlicher zu werden. Kurz drauf war im Frankfurter Bahnhof eine Ansage zu hören, dass ein erwarteter Zug aus Brüssel eine halbe Stunde Verspätung habe – ausgerechnet auf der Strecke, wo neue TEE fahren soll.
Von Frank-Thomas Wenzel/RND