Washington. Woche für Woche braucht die Ukraine neue Waffen, der Krieg gönnt ihr kein Atemholen. Vieles davon kommt zumindest indirekt aus den USA, und für Washington stellen sich die Fragen: Wie stark ist unser Nachschub? Und wären genug Waffen da für den Fall eines weiteren größeren Konflikts? „Wir sind nicht in einer Situation, in der wir einige kritische Rüstungsgüter nur noch für wenige Tage zur Verfügung hätten“, erklärte kürzlich Pentagon-Finanzchef Michael McCord vor Journalisten. „Aber wir unterstützen jetzt einen Partner, bei dem das so ist.“
Der russische Krieg gegen die Ukraine könnte sich noch lange ziehen. Für die Ukraine gehen fast wöchentlich Waffenlieferungen an die Front. In dieser Woche kündigten die USA weitere 20 Millionen Schuss Munition für Kleinwaffen an.
Russland feuert täglich bis zu 20.000 Geschosse ab, von Kugeln aus automatischen Feuerwaffen bis hin zu Marschflugkörpern von der Größe eines Lastwagens. Die Ukraine antwortet mit bis zu 7000 Geschossen pro Tag, darunter solche aus 155-Milimeter-Haubitzen, Stinger-Flugabwehrraketen und inzwischen auch Geschosse des westlichen NASAMS-Luftabwehrsystems.
Augenmerk auf China-Taiwan-Konflikt
Die Produktionslinien der US-Rüstungsindustrie sind indes nicht auf einen großen Krieg zu Lande ausgelegt. Einige, wie die für die Stinger-Rakete, sind sogar stillgelegt worden.
Doch nicht nur mit Blick auf den Ukraine-Krieg, sondern auch auf mögliche weitere Krisenherde stellt Washingtons sein Arsenal auf den Prüfstand. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Konflikt zwischen China und Taiwan, das von Peking als eigenes Territorium betrachtet wird.
„Was würde passieren, wenn im Indo-Pacom etwas in die Luft ginge? Nicht in fünf Jahren, nicht in zehn Jahren, sondern wenn es nächste Woche passieren würde?“, fragte Bill LaPlante, der Chef-Waffeneinkäufer des Pentagons, dieser Tage in Bezug auf das Indo-Pazifik-Kommando der US-Streitkräfte. „Was haben wir in ausreichender Menge? Was, das tatsächlich schlagkräftig ist? Das sind die Fragen, die wir uns in dieser Minute stellen.“
Mehr als 19 Milliarden US-Dollar Militärhilfe für Kiew
Die US-Streitkräfte verwenden nach Auskunft aus dem Pentagon viele Munitions- und Rüstungsgüter, die die Ukraine besonders braucht. Dazu zählen das Raketenartilleriesystem HIMARS, Stinger-Raketen und 155-Milimeter-Haubitzen. Nun werde der Bedarf an Lagerbeständen geprüft, erklärte Pentagon-Vertreter Doug Bush in dieser Woche vor Journalisten.
„Sie schauen, was die Ukraine verwendet, was wir produzieren können und wie schnell wir aufstocken können. All das sind Faktoren, die einbezogen werden in die Überlegung „Ok, wie groß muss der Vorkriegsvorrat sein?““, sagte Bush. „Je langsamer man nachlegt, desto größer muss der Vorrat zu Beginn sein.“
Die militärischen Hilfen der USA werden entweder über Bestände aus den Lagern gestemmt oder über gesteigerte Produktionsverträge mit der Industrie finanziert. Bislang beläuft sich die Militärhilfe auf mindestens 19 Milliarden US-Dollar (18,2 Milliarden Euro).
Probleme bei Stinger-Raketen und HIMARS-System
Doch selbst wenn weiter Geld dafür fließt, zeichnet sich ab, dass der Waffennachschub stockt. Die Produktion von mehreren der für die Ukraine wichtigen Systeme wurde bereits vor Jahren heruntergefahren, wie eben die der Stinger-Raketen. Im Mai erteilte das US-Verteidigungsministerium dem Rüstungsunternehmen Raytheon zwar nach vielen Jahren Pause nun wieder einen Auftrag im Wert von 624 Millionen Dollar (600 Millionen Euro) für 1300 neue Stinger-Raketen, doch die Waffenschmiede konnte – wegen Beschaffungsproblemen bei Bauteilen – eine Fertigung nicht vor dem kommenden Jahr in Aussicht stellen.
„Die Stinger-Linie wurde 2008 stillgelegt“, räumte Pentagon-Einkäufer LaPlante ein. „Und wer hat das gemacht? Wir alle waren es.“ Die bisher an die Ukraine gelieferten 1600 Stinger-Systeme machen nach Einschätzung von Mark Cancian vom Politikforschungsinstitut CSIS etwa ein Viertel des US-Arsenals aus.
Ein ähnliches Problem hat sich laut LaPlante beim HIMARS-System aufgetan. Es werde nun versucht, die Produktion hochzufahren und zu beschleunigen, um auf eine Stückzahl von 96 pro Jahr zu kommen. Dafür hat das Verteidigungsministerium kürzlich einen neuen Vertrag über 14,4 Millionen Dollar (13,8 Millionen Euro) angekündigt.Der Ukraine-Krieg habe die Herausforderungen und Unzulänglichkeiten vor Augen geführt, lautet das Resümee von Ryan Brobst, Analyst am Politikforschungsinstitut FDD in Washington: „Dieser Konflikt hat gezeigt, dass die Waffenproduktion in den Vereinigten Staaten und bei unseren Verbündeten für große Landkriege wohl ungenügend ist.“
RND/AP