Wieso manche trans Personen wieder in ihrem alten Geschlecht leben wollen – landeszeitung.de

Im Grunde war eigentlich alles so, wie Eli Kappo es sich gewünscht hatte. Das Testosteron hatte seiner Stimme Tiefe verliehen und auf Wangen und Oberlippe wuchsen Barthaare. Statt dem „F“ für „Frau“ stand nun ein „M“ für „Mann“ in seinem Reisepass und im Alltag wurde er auch optisch für einen Mann gehalten. Denn seitdem er denken konnte, fühlte er sich nicht als die Frau, die andere in ihm sahen. Nach dem Outing, der Namesänderung, den Operationen und der Hormonbehandlung ging es ihm auch psychisch endlich besser. Aber irgendwas passte noch nicht so ganz.

„Es fühlte sich nicht falsch an. Ich war im Grunde ja zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte“, sagt „Aber ich hatte immer das Gefühl, dass im Hintergrund noch etwas ist. Wie eine zweite Person, die ich niemandem zeigen darf.“ Der Gedanke, wieder als Frau zu leben, ploppt erst nur ganz theoretisch in seinem Kopf auf, mit der Zeit wird die Vorstellung immer drängender. 2016 – drei Jahre nach seiner ersten Dosis Testosteron – beschließt Kappo, das Hormon wieder abzusetzen. Es ist der erste Schritt seiner Detransition, dem Transitionsprozess zurück zur Frau.

Was ist Detransition?

Detransition meint, kurz gesagt, das Zurücknehmen bestimmter Transitionsschritte oder auch das Anhalten eines solches Prozesses. Also: wenn eine trans Person sich dazu entscheidet, wieder in dem Geschlecht zu leben, welches ihr bei der Geburt zugeschrieben wurde. Nicht immer werden bei einer Detransition alle Transitionsschritte wie Kleiderwahl, Namensänderung oder Operationen vollständig zurückgenommen. Insbesondere im medizinischen Bereich ist das teilweise auch gar nicht möglich. Wer lange Testosteron genommen hat, muss in der Regel auch ohne das Hormon mit einer tiefen Stimme leben. Wessen Gebärmutter operativ entfernt wurde, kann selbst keine Kinder mehr gebären.

Das entscheidende Kriterium ist aber, dass der Prozess von der betroffenen Person selbst auch Detransition genannt wird. Es reicht also nicht, wenn eine trans Person aufhört, Hormone zu nehmen oder sich wieder anders kleidet – das kann auch Teil des Transitionsprozesses sein.

Detransition wird immer wieder auch als Argument gegen Transgeschlechtlichkeit per se benutzt. Es heißt dann: Wer detransitioniert, habe bei seiner oder ihrer Transition eine falsche Entscheidung getroffen und bereue diese. Studien zeigen jedoch, dass das so nicht stimmt. Forschende schätzen die Zahl der Menschen, die überhaupt detransitionieren, mit 0,5 bis 2 Prozent als sehr gering ein. Es ist also bei Weitem kein Massenphänomen, sondern nur sehr wenige trans Personen wollen wieder in ihrem alten Geschlecht leben.

Wenn sich aber Menschen dafür entscheiden, liegt das laut einer britischen Studie nur in den seltensten Fällen daran, dass sich ihre Geschlechtsidentität geändert hat. Die überwiegende Mehrheit (82,5 Prozent) detransitioniert aufgrund von familiärem Druck oder gesellschaftlicher Stigmatisierung, der sie als trans Personen ausgesetzt sind. Zudem bedeutet es in den meisten Fällen auch nicht, dass die Transition grundsätzlich bereut wird, wie verschiedene Studien zeigen.

Transition ist schmerzhafte Erfahrung

Die Entscheidung zu (de-)transitionieren ist nicht leicht. Nicht nur sind die Operationen mit körperlichen Nebenwirkungen und Schmerzen und möglichen Komplikationen verbunden, sondern auch mit zahlreichen sozialen Konflikten:

Akzeptiert mein Umfeld, wer ich bin? Stehe ich nach meinem Outing alleine da? Was sagt meine Familie? Wird mein Geschlecht, meine Identität, geglaubt? „Trans sein klang für mich wie eine schlimme Krankheit, ein schweres Schicksal“, erzählt Kappo. „Das wollte man nicht haben.“ Einige Menschen verliert er als Folge seines Outings in den 2000ern, andere bleiben. Seine Mutter braucht Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Als er sich Jahre später als detrans outet, fragt er sich: Bin ich jetzt gescheitert als trans Person?

„Detransition ist eine schwere und schmerzhafte Erfahrung. Das ist kein schöner Weg“, sagt der 30-Jährige. „Es fühlt sich an, als würde die eigene Identität zerfallen. Alles, was man glaubte zu sein, bricht in sich zusammen.“ Dazu kommen die körperlichen Veränderungen: Das Testosteron setzt er zu plötzlich ab und seine Haut wird dünn, seine Haare strohig und er erkrankt an schweren Depressionen.

Eine Frage von Zeit – nicht von Reue

Kappo fühlt sich schlecht informiert von seinem Hormonarzt, was er wissen will rund um Detransition, beschafft er sich selbst. Bis sein Körper selbst wieder ausreichend Geschlechtshormone produziert, dauert es. „Eine gute Beratung von Ärztinnen und Ärzten fehlt total. Dabei ist das so wichtig“, sagt Kappo. „Wir haben in Trans-Communitys teils seit Jahrzehnten mehr Informationen über den Buschfunk als von ärztlicher Seite.“

Seine Entscheidung zu transitionieren bereut er nicht. Aber er hätte sich mehr Ruhe bei der Entscheidung gewünscht. „Ich bin grundsätzlich zufrieden mit meiner Transition, hätte mir aber mit manchen Schritten gerne mehr Zeit gelassen“, sagt Kappo.

Die hatte er – als er im Jahr 2012 seine Transition startet – gefühlt nicht. Es geht ihm nicht gut und die Begleittherapie, eine Vorgabe der Krankenkassen vor medizinischen Transitionsschritten, reicht nicht, um seine Krise aufzufangen. Von ihr hängt maßgeblich ab, ob er die nächsten Transitionsschritte überhaupt gehen darf.

Erlaubt mein Therapeut oder meine Therapeutin meine Hormontherapie? Darf ich mich operieren lassen? Glaubt er oder sie mir meine Transidentität? „Für das Indikationsschreiben würden viele alles sagen oder tun, weil es die gefühlte Rettung ist“, sagt Kappo. „Aber in einer Therapie muss auch Platz für Zweifel und Unsicherheiten sein.“

Und den gibt es durch die grundsätzliche Erlaubnis-Verbot-Prämisse aus seiner Sicht nicht genug. „Ich hätte noch eine allgemeine Therapie machen müssen“, sagt Kappo. „Für die Transition hätte ich mich trotzdem entschieden, aber das hätte für mich den Druck rausgenommen, alle Probleme darüber lösen zu müssen.“

Zweifel müssen immer Platz haben

„Strukturell kann es da ein Machtgefälle geben“, bestätigt Georg Romer. Der Kinder-und Jugendpsychiater leitet eines der größten Zentren in Deutschland für die Behandlung Minderjähriger mit Geschlechtsdysphorie in Münster und war bundesweit einer der ersten, der ein solches spezialisiertes Behandlungsangebot in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ins Leben rief.

Platz für Zweifel muss aus seiner Sicht immer gegeben sein – egal in welchem Stadium des Prozesses. „Wir müssen sicherstellen, dass die betroffene Person sich mit der Tragweite einer solchen Entscheidung intensiv auseinandergesetzt hat“, sagt Romer.

Dafür sei es wichtig, Zweifel anzusprechen und eine offene therapeutische Grundhaltung zu etablieren. „Betroffene berichten von dem Gefühl, dass sie ihre Therapeuten oder Ärzte enttäuschen könnten, wenn sie von Zweifeln berichten. Das darf natürlich nicht passieren“, sagt Romer. „Die Haltung muss sein: So wie du bist, so und nicht anders sollst du sein. Ich bin in jedem Stadium bei dir. Aber das Thema ist komplex. Lass uns gemeinsam gucken, wann du gut vorbereitet bist, eine Entscheidung zu treffen.“

Pubertät: Abwarten ist keine neutrale Option

Manche Eltern machen sich Sorgen, dass ihre Kinder die Entscheidung später bereuen könnten. Transitionsbehandlungen, die kaum rückgängig gemacht werden können, würden sie lieber auf nach der Pubertät vertagen. Zu viel Zeit sollte man sich nicht lassen – besonders nicht in jungen Jahren: „Bei Jugendlichen ist Abwarten keine neutrale Option“, sagt Romer. „Wenn die Stimme einmal tief ist, bleibt sie tief. Wenn die Schultern breit sind, bleiben sie breit. Das kann eine Transfrau für ihr Leben stigmatisieren.“ Auch sei die Häufigkeit von Suizidversuchen bei trans Erwachsenen, die als Jugendliche nicht behandelt wurden, deutlich höher.

Bei jedem Transitionsschritt müssen Schaden und Nutzen nicht nur bei medizinischem Eingreifen, sondern auch bei Unterlassen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. So empfiehlt es der Deutsche Ethikrat. Ein Mindestalter gibt es nicht, die Pubertät sollte nur bereits begonnen haben. Ab dann können Behandelnde, Betroffene und Eltern gemeinsam entscheiden, ob etwa eine Pubertätsunterbrechung oder Hormonbehandlung passend ist. So steht es in den jüngst veröffentlichten Standards of Care for the Health of Transgender and Gender Diverse People.

Auch, wenn Menschen bereits im Jugendalter geschlechtsangleichende Hormone bekommen, erhöht das keineswegs das Risiko einer späteren Detransition. „Drei Viertel derjenigen, die detransitionieren, fingen laut einer aktuellen Studie erst nach dem 18. Lebensjahr mit Hormonbehandlungen an“, erzählt Romer. „Abwarten schützt nicht vor falschen Entscheidungen. Im Gegenteil: Diejenigen, die schon als Jugendliche einen großen Leidensdruck haben, sind tendenziell eher die eindeutigen Transverläufe.“ Das legt auch das Ergebnis einer aktuellen Studie nahe: Die meisten Menschen, die im Jugendalter eine Hormontherapie bekommen, führen diese Behandlung auch zu einem späteren Zeitpunkt fort.

Jede Transition ist individuell

Der Professor betont, wie wichtig es ist, jede und jeden Betroffenen individuell zu begleiten. Denn Transidentitäten lassen sich nicht in Raster einordnen und es braucht eine enge therapeutische und ärztliche Begleitung, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Wie individuell Transitionsverläufe sein können, zeigt Eli Kappos Geschichte. Nach seiner Detransition lebte er einige Jahre als Frau. Aber auch das fühlt sich irgendwann nicht mehr stimmig an. Anfang diesen Jahres outet er sich wieder als Mann.

„Für mich ist mein Geschlecht ein Gefühl, das sich auch ändern kann. Nicht so oberflächlich wie ein Kleidungsstück oder Duft. Das geht tiefer und lässt sich nicht bewusst steuern“, erklärt Kappo. „Ich bin auf eine Art binär. Ich fühle mich entweder als Frau oder Mann.“

Das sei aber keine Folge einer Entwicklung oder ein Zurückgehen zu einem früheren Ich. „Ich empfinde meine Transitionen mehr wie ein links-rechts als ein vor-zurück“, beschreibt Kappo. „Ich trage einfach beide Seiten in mir – nur eben nicht gleichzeitig.“

Ob er von nun an als Mann leben wird, weiß Eli Kappo nicht. Es gehöre aber mehr dazu als ein paar kleinere Zweifel und Unsicherheiten, um das wieder zu ändern.

Selbstbestimmungsgesetz für weniger Performancedruck

Ein gesetzlicher Hebel, um trans Personen mehr individuellen Raum zuzugestehen und Druck rauszunehmen, könnte das Selbstbestimmungsgesetz sein. Es soll das Transsexuellengesetz von 1980 ablösen, das laut Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist.

Künftig wird die amtliche Namens- und Geschlechtsänderung für Menschen, deren zugeschriebenes Geschlecht nicht passend ist, in einem einfachen Verfahren beim Standesamt möglich sein – ohne Begutachtungen, Attest oder kostenintensive Gerichtsprozesse.

„Das ist ein großer Schritt, um trans* Personen in ihren Identitäten zu respektieren. Auch, um zu ermöglichen, den Geschlechtseintrag amtlich zu ändern, ohne einer bestimmten stereotypen Vorstellung von männlich oder weiblich entsprechen zu müssen“, sagt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*.

Denn der Druck, sich als ein bestimmtes Geschlecht behaupten zu müssen, ist bei trans Personen bekanntlich sehr hoch. „Wenn die Hürden nicht so groß sind, ist der Druck, sich und anderen etwas beweisen zu müssen, auch nicht so groß“, sagt „Am wichtigsten ist aber, dass es ein Selbstbestimmungsgesetz ist. Es braucht also nicht mehr Leute im weißen Kittel, die einem erlauben, man selbst zu sein. Sondern ich sage selbst, wer ich bin. Das ist ein großer Unterschied.“

Von Kira von der Brelie/RND